Der große Schlaf
wirstś mir sagen, kleiner Mann. Hier oder im Hinterzimmer, wo die Jungs Murmeln spielen.«
»Sie ist jetzt mein Mädchen, Canino. Ich hau mein Mädchen nicht in die Pfanne.«
Es folgte ein Schweigen. Ich hörte den Regen gegen die Scheiben klatschen. Der Duft von Zigarettenrauch kam durch die Türspalte. Ich bekam einen Hustenreiz und biß fest aufs Taschentuch.
Die schnurrende Stimme sagte noch immer sanft: »Wie ich höre, war diese blonde Mieze bei Geiger nur ńe Angestellte.
Ich werd mit Eddie drüber reden. Um wieviel biste den Topfgucker angegangen?«
»Zwei Riesen.«
»Gekriegt?«
Harry Jones lachte wieder. »Ich treff ihn morgen. Ich mach mir Hoffnungen.«
»Wo ist Agnes?«
»Hören Sie ...« Schweigen.
»Wo ist Agnes?«
»Sieh dirś an, kleiner Mann.«
Ich rührte mich nicht. Ich hatte keine Waffe bei mir. Ich brauchte nicht durch den Türspalt zu sehen, um zu wissen, daß es eine Kanone war, die Harry Jones sich auf Einladung der schnurrenden Stimme ansehen sollte. Aber sicherlich wollte Mr. Canino seine Kanone nur vorzeigen, mehr nicht. Ich wartete.
»Ich seh mirś an«, sagte Harry Jones mit so gepreßter Stimme, als bekäme er sie kaum hinter den Zähnen hervor.
»Und ich sehe nichts, was ich nicht schon gesehen hätte.
Ballern Sie doch los, und Sie werden sehen, was es Ihnen einbringt.«
» Dir brächte ś jedenfalls ń Leichentuch, kleiner Mann.«
Schweigen. »Wo ist Agnes?«
Harry Jones seufzte. »Okay«, sagte er müde. »Sie ist in einem Apartmenthaus, Court Street 28, oben auf Bunker Hill.
Apartment 301. Ich bin eben ein Feigling. Aber warum soll ich für das Miststück den Kopf hinhalten?«
»Kein Grund vorhanden. Du bist wenigstens vernünftig. Du und ich, wir fahren jetzt los und sprechen mit ihr. Ich will nur rausfinden, ob sie dich angeschmiert hat, Junge. Wenn es so ist, wie du sagst, isálles geritzt. Du kannst inń Wind schießen und deinen Schlüssellochgucker anzapfen. Nichts für ungut.«
»Klar«, sagte Harry Jones. »Schon recht, Canino.«
»Fein. Das wollen wir begießen. Haste ein Glas?« Die schnurrende Stimme war nun so falsch wie die Wimpern eines Flittchens und so glatt wie die Kerne in einer Wassermelone.
Eine Schublade wurde herausgezogen. Etwas scharrte auf Holz. Ein Stuhl knarrte. Ein Schlurfen am Boden.
»Das ist Zollware«, sagte die schnurrende Stimme.
Man hörte es gluckern. »Auf daß dir die Motten den Nerz zerfressen, sagte die Dame.«
Harry Jones sagte sanft: »Viel Erfolg.«
Ich hörte ein kurzes, scharfes Husten. Dann ein verzweifeltes Würgen. Darauf einen leisen Bums auf dem Boden, als ob ein dickes Glas heruntergefallen wäre. Meine Finger verkrampften sich in meinem Regenmantel.
Die schnurrende Stimme sagte freundlich: »Dir wird doch nicht übel von dem einen Schluck, was, Kumpel?« Harry Jones gab keine Antwort. Einen kleinen Augenblick lang war ein mühsames Atmen vernehmbar. Dann tiefe Stille. Dann scharrte ein Stuhl.
»Das wärs, kleiner Mann«, sagte Mr. Canino. Schritte, ein Knipsen, der Lichtkeil zu meinen Füßen erlosch, eine Tür öffnete und schloß sich leise. Die Schritte, geruhsam und fest, erstarben.
Ich linste durch den Türspalt und zog die Tür weit auf und blickte ins Dunkel, das vom matten Schein eines Fensters gemildert wurde. Die Ecke eines Schreibtisches glänzte schwach.
In einem Sessel dahinter nahm etwas Buckliges Gestalt an. In der verbrauchten Luft hing ein schwerer, stickiger Geruch, fast wie ein Parfüm. Ich trat an die Tür zum Flur und lauschte. Ich hörte das ferne Surren des Aufzugs.
Ich fand den Schalter, und Licht schien aus einer staubigen Glaskugel, die an drei Messingketten von der Decke hing.
Harry Jones sah mich über den Schreibtisch hinweg an, mit weitgeöffneten Augen, krampfhaft verzerrtem Gesicht, bläulicher Haut. Sein kleiner, dunkler Kopf war zur Seite gekippt. Er lehnte aufrecht im Sessel.
Eine Straßenbahn klingelte aus fast unendlicher Ferne, und der Klang schien durch unzählige Mauern gedämpft. Eine braune Halbflasche Whisky stand geöffnet auf dem Schreibtisch. Harry Jones´ Glas war gegen ein Tischbein gerollt. Das zweite Glas war verschwunden.
Ich atmete flach, mit ganz wenig Lunge, und beugte mich über die Flasche. Hinter dem rauchigen Duft des Bourbon verbarg sich noch ein anderer Geruch, der schwache Geruch von bitteren Mandeln. Harry Jones hatte sterbend auf seinen Mantel erbrochen. Das bedeutete Zyankali.
Ich ging vorsichtig um ihn herum und hob ein Telefonbuch
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