Der große Stier
wässerig, und die Haare auf ihrer erhobenen Schnauze waren vom Alter weiß und räudig.
»Warum bringst du nicht mal eine Zeitung oder irgend etwas mit?« fragte Paul und hob den Teller außer Reichweite.
Ginger blinzelte in stummer Duldung und neigte den Kopf für die wichtigere Beschäftigung, ihre verfallenden Lenden zu belecken.
Paul suchte sich das grünste Salatblatt aus, ehe er seinen Teller neben sie auf den Fußboden stellte. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und begann, die Tagesereignisse in der Agentur methodisch zu rekonstruieren. Mehrere Minuten vergingen, während er auf das dünne, feuchte Blatt in seiner Hand starrte, und nach und nach kehrten seine Gedanken zu den knirschenden Lauten von Gingers Zähnen zurück, da die Hündin den spröden Knochen ihres Schweinsrippchens zerbiß.
»Nimm stets Naturdung Humanur«, sagte Paul und steckte rasch das Salatblatt in den Mund. Wie auf ein Zeichen hin erhob Ginger ihr Hinterteil und furzte. Sie hatte die Ohren flach an den Kopf gelegt. Der Geruch halbverdauten Schweinefleisches erfüllte das Zimmer.
»Ich habe dir doch gesagt, daß du das nicht sollst!« rief Paul und wedelte vor seiner Nase herum. Er lief zum Wandschrank, schnappte sich seinen Regenmantel, wandte sich um und zeigte mit einem Finger wütend auf den Fleck zwischen Gingers blinzelnden Augen.
»Das ist jetzt schon das zweite Mal in dieser Woche, Hund!« sagte er. »Ich lasse die Tür weit offen. Ich rate dir, daß du hier verschwunden bist, wenn ich wiederkomme …«
Er ging den schmalen Fußsteig entlang, der die Bridgeway-Mauer zur See hin einsäumt. Das flache schwarze Wasser der Bucht leckte sanft Salz von den verkrusteten Steinen unterhalb des Fußsteigs ab; vorbeifahrende Autos haschten seinen Schatten und hüllten ihn in zitronenfarbenes Licht. Eine feuchte Brise blies von San Francisco herüber; er lehnte den Hals in die Wärme seines hochgestellten Kragens und ging über die Straße zum ›Cat and Fiddle‹.
Die meisten Tische waren leer. Drei Fischer saßen an der Bar und schluckten dampfendes Bier.
Die Cocktailkellnerin Rachel lächelte ihm zu, als er sich auf den Hocker neben, ihr setzte. Gute Rachel. Als er sie das erste Mal gesehen hatte, vor drei Monaten, als er nach Sausalito zog und gräßlich betrunken war, hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Auf den Knien, zu Füßen dieses gleichen Hockers.
Rachel war eine von den Frauen, wie alleinschlafende Männer sie sich vorstellen, wenn sie auf ihrem Kopfkissen liegen. Die großen Augen der erwartungsvollen Jungfräulichkeit, der feuchte Mund, der jede Obszönität verspricht. Ihre Brüste waren groß, mit Milch für jedermann; ihre Hüften üppig, leer, schmerzend vom Verlust ihres letzten Kindes, angeboten in Erwartung des nächsten. Ihre Stimme war leise, schmollend, doch immer an Gelächter grenzend. Nicht das metallisch klingende Kichern, durch das die meisten Frauen Verlegenheit vortäuschen, sondern ein lautes und kräftiges Lachen, durch das sie fähig war, die unschuldigste Bemerkung in einen köstlichen schmutzigen Witz zu verwandeln.
»Mr. Odeon, das Optimum«, sagte sie. »Früh für dich, nicht wahr?«
»Ein furzender Köter hat mich hierhergetrieben.«
»Hallo, Mann, das ist gut! – Was für’n Drink?«
»Ale. Das schwarze Zeug aus Schottland.« Er tippte mit dem Ende seiner Zigarette auf die Bar. »Wo sind die andern alle?«
»Wenn du Beebee meinst, die will Sorkin nicht mehr hier reinlassen, weil sie erst vierzehn ist und uns die Schanklizenz kosten könnte. Harvey war heute nachmittag hier, sagte, er käme wieder. Greek-O ist vor einer Stunde gegangen. Furbish und Kate sind unten am Pier Fünf und tanzen zu Stiermusik.«
»Stiermusik?«
»Wo bist du eigentlich gewesen, Baby? Es ist die Musik! Wahrscheinlich wird sie deinen Kopf runterbeugen.«
»Ich will meinen Kopf nicht runtergebeugt haben.«
»Oh. Alle Wetter. Odeon, du bist unbegreiflich. Du bist vom Land. Du könntest normal sein, Baby, wenn du aufhören würdest, mit Achtkläßlern ins Bett zu gehn …«
»Beebee ist auf der Oberschule.«
»Sie hat erzählt, du hättest angefangen, dich mit ihr abzugeben, als sie neun war.« Rachel langte über den Schanktisch, machte eine Flasche Schottisch Ale auf und gab sie Paul. »Strohhalm?«
»Nein, ich trinke es so.« Paul langte über den Schanktisch, schüttelte die Seife vom Rand eines Glaskrugs und goß sich ein.
Bis Paul seine zweite Flasche Ale hatte, war die Bar beinahe
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