Der große Stier
eine Sprache geeint; sogar die Behälter für Frühstücks-Mehlspeisen trugen einen englischen und einen französischen Aufdruck. Durch die Tradition war Kanada an den starren Commonwealth-Konservativismus von Mutter England gebunden, und es war gezwungen, die überkommene Kultur der Vereinigten Staaten anzunehmen. Und wenn es stimmte, daß die Amerikaner Kanada nicht beachteten (ihre Kenntnis beschränkte sich auf einige Marken kanadischen Whiskys und auf Farbfotos der Royal Canadian Mounted Police), so waren auch die Kanadier über ihr Erbe in Verlegenheit. Selbst die Nationalflagge, in den Wäldern verloren, zeigte nur ein einziges Ahornblatt.
Die Stiermusik lieferte Kanada seinen ersten wirklichen Adventus, den Adventus des Stolzes. Und die Razzia der amerikanischen Polizei bei der Aufführung von Iliyu auf dem Mount Tamalpais diente nur dazu, diesen Stolz zu einer Leidenschaft zu entfachen.
Stratford wurde zum Mekka für Schneekinder aus der ganzen Welt. Von Amsterdam kamen die Provos, für die Weiß schon immer ein Symbol, wenn nicht gar eine Rechtssache gewesen war. Weitere Tausende kamen aus Skandinavien, Südeuropa, Afrika, Südamerika und dem Orient, eingeschlossen Chinesen von Formo sa und vom Festland her.
Sie kamen nicht einfach, um nur zu sehen und zuzuhören, sondern auch um zu arbeiten. Was sie zum Essen brauchten, zogen sie sich selbst in Gärten am Stadtrand, sie bildeten eigene Gruppen in den Parks. Indianer von diesseits und jenseits der Grenze brachten Verfeinerungen des weißen Lehms mit, und bis zum Herbst war Stratford das Modell für die Schneekinder-Gemeinschaften in der ganzen Welt geworden.
Die ersten Schneeflocken fielen im November. Für die Einwohner von Stratford war das eine festliche Zeit; sie gingen Arm in Arm durch die Straßen und hoben die Gesichter zum Himmel empor, um die ersten prickelnden Küsse des Winters zu empfangen.
In dem langen Menschenzug auf der Ontario Street gingen auch zwei Indianer mit. Der eine schritt mit gesenktem Kopf, die Arme auf der Brust gekreuzt, die Schritte nicht mit denen des anderen Indianers, der neben ihm ging, übereinstimmend, so daß sie immer wieder mit den Schultern aneinanderstießen. Er hatte die Beine mit Leder umwickelt, trug eine Jacke aus Hirschleder und um den Kopf ein türkisfarbenes, langes Tuch. Sein Haar war schwarz, lang und glatt, seine Gesichtsfarbe rosig-weiß. In regelmäßigen Abständen blieb er stehen, stampfte mit einem Fuß auf und spuck te aus.
»Scheiße!« sagte er. »Ich kriege das Zeug nicht mehr aus meinen Zähnen heraus.«
»Bald du warm bei Lagerfeuer«, sagte der andere.
»Das höre ich nun schon seit einem Monat.«
»Sa-du-ma-ha-sawi …«
»Auf jeden Fall …« Paul räusperte sich und spuckte wieder auf den Gehweg.
Auf der anderen Straßenseite fing eine Schar junger Chinesen an, Beifall zu klatschen und sich vor einem Negermädchen zu verbeugen, das eben aus einem Warenhaus gekommen war. Es war in eine Pelzparka eingehüllt, und Paul erkannte es erst, als es die Kapuze abnahm. Er drehte sich blitzschnell zu dem Indianer neben ihm und packte ihn mit beiden Händen.
»Ich habe gerade mein eigenes Lagerfeuer gefunden!« rief er.
Der Indianer zog bei diesem Rätsel sein Gesicht in Falten.
»Jetzt ist alles in Ordnung, Running Grass, ich habe eine von ihnen gefunden. Das Mädchen drüben, verstehst du? Nun ist mit mir alles in Ordnung.«
»Du willst mit dunklem Gesicht gehen?«
»Wenn es dir nichts ausmacht. Vielen Dank, daß du mich hierher gebracht hast, Running Grass, und richte deinem Häuptling meinen Dank aus, wenn du dorthin zurückkommst. Ich möchte gern, daß du es weißt: Eure Kocherei ist abscheulich, und ich liebe dich.«
Der Indianer grunzte.
»Leb wohl, Running Grass …« Er ging zwei Schrit te zurück, machte ein Zeichen mit der rechten Hand, drehte sich um und rannte über die Straße. »Winnie! Winnie! Ich bin es, Paul!«
»Paul?« Sie bahnte sich mit den Ellenbogen ihren Weg durch die überraschten Chinesen. »Welcher Paul?«
»Odeon. Paul Odeon. Weißt du nicht mehr?«
»Was haste gemacht, daß du so aussiehst?«
»Ich bin ein Indianer.« Paul zeigte auf ihre Schneehosen und ihre Skistiefel. »Was ist deine Entschuldigung?«
Winnie kicherte.
»Winnie, hör mal zu: Ich muß unbedingt mit Stier sprechen …«
»Kann ich nich mach’n, Baby.«
»Warum nicht?«
»Weil er nich hier is.«
»Und Magdelaine?«
»Die is in Montreal.«
»Mrs. Chen?«
»Ottawa. Bloß
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