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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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meinen Kopf, ganz abzuschalten. Heute war nicht der fünfzigste Geburtstag meiner Mutter, deshalbwurde nicht gesungen. Stattdessen wanderte ich an Bergseen vorüber und stapfte über grobes Vulkangestein. Der in der Nacht gefallene Schnee schmolz, und die Wildblumen kamen wieder zum Vorschein. Ich wanderte schneller als jemals zuvor und hatte lieblose Gedanken an meine Mutter. Mit fünfundvierzig zu sterben war von den vielen Fehlern, die sie begangen hatte, nur der schlimmste. Beim Wandern erstellte ich im Kopf eine akribische Liste der übrigen:
    1. Es gab eine Phase, in der sie wenig, aber regelmäßig Gras rauchte, auch bedenkenlos vor meinen Geschwistern und mir. Einmal, als sie stoned war, hatte sie gesagt: »Das ist nur ein Kraut. So etwas wie Tee.«
    2. In der Zeit, in der wir in Mietshäusern wohnten, die voll waren mit allein erziehenden Müttern, kam es nicht selten vor, dass sie meine Geschwister und mich allein ließ. Sie könne sich keinen Babysitter leisten, sagte sie zu uns, und wir seien alt genug, um ein paar Stunden allein klarzukommen. Außerdem könnten wir ja jederzeit zu einer der anderen Mütter gehen, falls wir ein Problem hätten. Aber wir brauchten unsere Mom.
    3. In derselben Zeit drohte sie uns, wenn sie richtig wütend wurde, Prügel mit einem Kochlöffel an, und ein paarmal machte sie die Drohung auch wahr.
    4. Einmal sagte sie, es würde ihr überhaupt nichts ausmachen, wenn wir sie lieber mit ihrem Vornamen als mit Mom anreden wollten.
    5. Ihren Freunden gegenüber konnte sie kühl und distanziert sein. Sie hatte sie gern, aber hielt sie auf Abstand. Ich glaube, sie ließ keinen wirklich an sich heran. Sie lebte nach dem Grundsatz »Blut ist dicker als Wasser«, obwohl wir nur wenige Blutsverwandte hatten, die auch noch Hunderte von Kilometern weit weg wohnten. Sie gefiel sich in der Rolle der Einsiedlerin, nahm zwar Anteil am Leben ihrer Freunde, schottete unsere Familie aber davon ab. Das war vermutlich der Grund, warum niemand vorbeigekommen war, als sie starb, und warum ihre Freunde mich in meinem unvermeidlichen Exil in Ruhe gelassen hatten. Da sie zu niemandem engen Kontakt gehabt hatte, hatte auch niemand welchen zu mir. Alle wünschten mir nur das Beste, aber keiner lud mich an Thanksgiving zum Essen ein oder rief mich am Geburtstag meiner toten Mutter an, um Hallo zu sagen.
    6. Mit ihrem Optimismus konnte sie einen auf die Palme bringen, speziell wenn sie dummes Zeug sagte wie: Wir sind nicht arm, denn wir sind reich an Liebe! Oder: Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf! Aus Gründen, die mir selbst nicht ganz klar waren, hätten wir sie dann immer am liebsten erwürgt, sogar noch, als sie im Sterben lag und ihr Optimismus sich vorübergehend in dem verzweifelten Glauben ausdrückte, sie werde nicht sterben, solange sie nur gewaltige Mengen Weizengrassaft trinke.
    7. Als ich im letzten Highschool-Jahr war, fragte sie mich nicht, auf welches College ich gern gehen würde. Sie sah sich mit mir kein einziges an. Dass Eltern so etwas taten, erfuhr ich erst, als ich bereits auf dem College war und andere mir davon erzählten. Ich blieb mir selbst überlassen und bewarb mich lediglich an einem College in Saint Paul, und nur aus dem einen Grund, weil es auf der Broschüre nett aussah und nur drei Autostunden von unserem Haus entfernt lag. Gewiss, ich hatte es auf der Highschool etwas schleifen lassen und das blonde Dummchen gespielt, um nicht sozial ausgegrenzt zu werden, weil meine Familie in einem Haus mit Plumpsklo und Holzofen lebte, mein Stiefvater ein Langhaariger mit Rauschebart war und in einem verbeulten Auto herumfuhr, das er mittels Schweißbrenner, Kettensäge und ein paar Kanthölzern in einen Kleinlaster umgebaut hatte, und meine Mutter es ablehnte, sich die Achseln zu rasieren, und den einheimischen Waffennarren Sätze an den Kopf warf wie: Also ich finde, Jagen ist Mord. Aber sie wusste, dass ich eigentlich intelligent war. Sie wusste, dass ich wissbegierig war und ein Buch nach dem anderen verschlang. Und dass ich bei jeder Einheitsprüfung unter den Besten abschnitt, überraschte alle außer sie und mir. Warum hatte sie nicht gesagt: He, vielleicht solltest du dich in Harvard bewerben? Wie wär’s, wenn du dich in Yale bewirbst? Der Gedanke an Harvard und Yale war mir damals überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Diese Hochschulen erschienen mir völlig unwirklich. Erst später begriff ich, dass Harvard und Yale durchaus real waren. Und obwohl sie mich

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