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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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begrüßen. Er war das, was man im Jargon der Wanderer einen Trail Angel nannte, aber das wusste ich damals noch nicht. Ich wusste noch nicht einmal, dass es einen Jargon der PCT-Wanderer gab.
    »Seht mal, Jungs, wir haben alle die Wette verloren«, rief Ed den Männern zu, als sie vom Laden zurückkamen.
    »Ich nicht!«, protestierte Greg, der zu mir trat und mir die Schulter drückte. »Ich habe mein Geld auf Sie gesetzt, Cheryl«, beteuerte er, obwohl die anderen seine Behauptung bestritten.
    Wir saßen um den Picknicktisch, sprachen über den Trail, und nach einer Weile zerstreuten sich alle, um ein Nickerchen zu machen – Ed ging in seinen Wohnwagen, Greg, Albert und Matt legten sich in ihre Zelte. Ich blieb am Tisch, da ich zu aufgeregt zum Schlafen war, und wühlte mich durch den Inhalt des Pakets, das ich selbst vor Wochen gepackt hatte. Die Sachen darin rochen nach den Nag-Champa-Räucherstäbchen, deren Duft meine Wohnung erfüllt hatte und mir jetzt wie aus einer fernen Welt vorkam, wie aus einem anderen Leben, das ich früher einmal geführt hatte. Die Ziplock-Tüten und Verpackungen der Lebensmittel waren noch unbeschadet und glänzten. Das frische T-Shirt roch nach dem Lavendel-Waschmittel, das ich in dem Genossenschaftsladen, in dem ich Mitglied war, immer lose gekauft hatte. Der geblümte Einband von Flannery O’Connors The Complete Stories war noch wie neu.
    Das Gleiche konnte man von Faulkners Als ich im Sterben lag nicht behaupten, vielmehr von dem dünnen Teil des Buches, der noch in meinem Rucksack steckte. Ich hatte den Umschlag abgetrennt und alle Seiten, die ich am Abend zuvor gelesen hatte, herausgerissen und in der kleinen Alubackform, die ich zum Schutz gegen verirrte Funken immer unter den Kocher stellte, verbrannt. Ich hatte zugesehen, wie die Flammen Faulkners Namen verzehrten, und ein wenig das Gefühl gehabt, ein Sakrileg zu begehen – ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal Bücher verbrennen würde –, aber ich musste unbedingt mein Gepäck leichter machen. Das Gleiche hatte ich mit dem Teil von The Pacific Crest Trail, Volume I: California getan, den ich bereits abgewandert hatte.
    Es tat mir weh, aber es musste sein. Schon in meinem normalen Leben vor dem PCT hatte ich Bücher immer geliebt, doch auf dem Trail hatten sie eine noch größere Bedeutung für mich bekommen. In ihrer Welt konnte ich mich verlieren, wenn die Welt, in der ich wirklich war, zu hart und zu schwer zu ertragen war, wenn ich mich zu einsam in ihr fühlte. Abends, wenn ich das Lager aufschlug, erledigte ich Arbeiten wie Zeltaufbauen, Wasserfiltern und Kochen in aller Eile, damit ich mich hinterher im Schutz des Zeltes in meinen Campingstuhl setzen konnte. Den Topf mit dem warmen Essen zwischen die Knie geklemmt, aß ich dann mit dem Löffel in der einen und einem Buch in der anderen Hand und las im Schein meiner Stirnlampe, wenn sich der Himmel verdunkelte. In der ersten Woche meiner Wanderung war ich oft zu müde, um mehr als ein oder zwei Seiten zu lesen, bevor ich einschlief, doch als meine Kondition besser wurde, las ich mehr und konnte es abends kaum erwarten, der Eintönigkeit meiner Tage zu entfliehen. Und jeden Morgen verbrannte ich, was ich am Abend zuvor gelesen hatte.
    Als ich das noch unversehrte Buch mit O’Connors Kurzgeschichten in der Hand hielt, tauchte Albert aus seinem Zelt auf. »Anscheinend fällt es Ihnen schwer, sich von gewissen Dingen zu trennen«, sagte er. »Wollen Sie Hilfe?«
    »Eigentlich ja«, antwortete ich mit gequältem Lächeln.
    »Also gut. Ich möchte, dass Sie jetzt Folgendes tun: Packen Sie, als wollten Sie zu Ihrer nächsten Etappe aufbrechen, dann sehen wir weiter.« Er ging zum Fluss, in der Hand den Stummel einer Zahnbürste, deren Griff er abgesägt hatte, natürlich um Gewicht zu sparen.
    Ich machte mich ans Werk, kombinierte das Neue mit dem Alten, kam mir aber vor wie bei einer Prüfung, bei der ich nur durchfallen konnte. Als ich fertig war, kehrte Albert zurück und packte meinen Rucksack Stück für Stück wieder aus. Er legte jedes Ausrüstungsteil auf einen von zwei Haufen – der eine sollte zurück in den Rucksack, der andere in den jetzt leeren Karton meines Versorgungspakets, den ich anschließend entweder nach Hause schicken oder zu der Umsonstkiste für PCT-Wanderer auf der Veranda des Gemischtwarenladens stellen konnte. In den Karton wanderten die Klappsäge, das Minifernglas und das 1000-Watt-Blitzgerät für die Kamera, die ich noch gar

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