Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
zu zweit unterwegs waren, untereinander aufteilen konnten –, doch im Vergleich zu vorher war er so leicht, dass ich meinte, Luftsprünge damit machen zu können. Nach der Hälfte der Runde blieb ich stehen und sprang.
Ich hob nur ein paar Zentimeter vom Boden ab, aber immerhin.
»Cheryl?«, rief genau in diesem Moment eine Stimme. Ich schaute auf und sah einen attraktiven jungen Mann mit Rucksack auf mich zukommen.
»Doug?«, fragte ich und lag damit richtig. Als Antwort winkte er und stieß einen Jauchzer aus, dann kam er direkt auf mich zu und umarmte mich.
»Wir haben deinen Eintrag im Register gelesen und versucht, dich einzuholen.«
»Und hier bin ich«, stammelte ich, verblüfft über seine Begeisterung und sein gutes Aussehen. »Wir kampieren alle da drüben.« Ich deutete hinter mich. »Wir sind ein ganzer Haufen. Wo steckt dein Freund?«
»Er wird gleich hier sein«, sagte Doug und jauchzte noch einmal, ohne besonderen Grund. Er erinnerte mich an all die Sonnyboys, die ich in meinem Leben kennengelernt hatte – gut aussehend im klassischen Sinn, charmant und der geborene Sieger, überzeugt, dass ihm die Welt gehörte, und unbeleckt von Selbstzweifeln. Als ich neben ihm stand, hatte ich das Gefühl, er würde jeden Moment meine Hand nehmen und wir würden dann zusammen mit einem Fallschirm von einer Klippe springen und lachend nach unten schweben.
»Tom!«, brüllte Doug, als am Ende des Feldwegs sein Freund auftauchte. Wir gingen ihm entgegen. Schon von weitem erkannte ich, dass Tom physisch und psychisch das Gegenteil von Doug war – knochendürr, blass, Brille. Das Lächeln, das sich in sein Gesicht schlich, als wir näher kamen, wirkte zaghaft und leicht verunsichert.
»Hallo«, begrüßte er mich, als wir nahe genug waren, und gab mir die Hand.
In den wenigen Minuten, die wir bis zu Eds Lagerplatz brauchten, machten wir uns auf die Schnelle miteinander bekannt. Tom war vierundzwanzig, Doug einundzwanzig. Blaublüter aus Neuengland hätte meine Mutter sie genannt, wie mir sofort klar war, noch bevor sie mir groß etwas erzählt hatten – was für Mom allerdings nur bedeutet hätte, dass sie reich waren und irgendwo aus der Gegend östlich von Ohio und nördlich von Washington stammten. In den folgenden Tagen sollte ich alles über sie erfahren. Dass ihre Eltern Chirurgen, Bürgermeister und Finanzmanager waren. Dass sie beide ein schickes Internat besucht hatten, das einen so tollen Ruf genoss, dass sogar ich seinen Namen kannte. Dass sie ihre Sommerferien normalerweise in Nantucket und auf Privatinseln vor der Küste von Maine verbrachten, ihre Frühjahrsferien beim Skifahren in Vail. Aber von alldem wusste ich jetzt noch nichts. Ich wusste noch nicht, dass ihr Leben in vielerlei Hinsicht für mich ebenso unbegreiflich war wie meines für sie. Ich wusste nur, dass sie mir in einer ganz speziellen Hinsicht sehr verwandt waren. Sie waren keine Ausrüstungsfreaks, keine Wanderexperten und keine PCT-Alleswisser. Sie waren weder an der mexikanischen Grenze losgelaufen, noch hatten sie den Trip zehn Jahre lang geplant. Und was noch besser war: Nach der Strecke, die sie bisher zurückgelegt hatten, waren sie beinahe ebenso fix und fertig wie ich. Dabei waren sie zu zweit und hatten im Unterschied zu mir nicht tagelang auf Gesellschaft verzichten müssen. Und ihre Rucksäcke hatten eine vernünftige Größe, sodass ich bezweifelte, dass sie eine Klappsäge mitschleppten. Doch als ich Doug in die Augen sah, spürte ich sofort, dass er bei aller Selbstsicherheit und Lockerheit einiges durchgemacht hatte. Und als Tom mir die Hand drückte, konnte ich ihm am Gesicht ablesen, was er dachte: Ich muss aus diesen verdammten Stiefeln raus.
Augenblicke später, als wir im Lager ankamen und die Männer sich um uns scharten, um sich vorzustellen, setzte er sich auf die Bank an Eds Picknicktisch und zog sie aus. Ich beobachtete, wie er vorsichtig die dreckigen Sockenvon seinen Füßenschälte und wie dabei Haut mitging. Seine Füße sahen aus wie meine: weiß wie Fisch und übersät mit blutigen, nässenden Wunden, halb bedeckt mit abgeriebenen Hautfetzen, die noch schmerzhaft anFleischpartien hingen, die den langsamen PCT-Tod erst noch sterben mussten. Ich nahm den Rucksack ab, öffnete den Reißverschluss eines Faches und holte mein Erste-Hilfe-Set heraus.
»Hast du die schon probiert?«, fragte ich Tom und hielt ihm einen Bogen 2nd-Skin-Gelpads hin – zum Glück hatte ich Nachschub in mein
Weitere Kostenlose Bücher