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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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nicht benutzt hatte. Vor meinen Augen sortierte Albert das Deo aus, dessen Nutzen ich überschätzt hatte, dann den Einwegrasierer, den ich in der vagen Vorstellung mitgenommen hatte, mir die Beine und die Achseln zu rasieren, und, oberpeinlich, die dicke Rolle Kondome, die ich in mein Erste-Hilfe-Set gesteckt hatte.
    »Brauchen Sie die wirklich?«, fragte Albert und hielt die Kondome in die Höhe. Albert, der Eagle Scout und Familienvater aus Georgia, dessen Ehering in der Sonne blitzte, der den Stiel seiner Zahnbürste gekappt hatte und der todsicher eine Bibel im Taschenformat in seinem Rucksack mitführte. Er betrachtete mich mit steinerner Miene, während das Dutzend extradünner, in weißen Plastikbeuteln verpackter Trojan-Kondome ohne Gleitmittel knisternd aus seiner Hand sprang wie eine Luftschlange.
    »Nein«, sagte ich und wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Der Gedanke, hier draußen Sex zu haben, kam mir jetzt absurd vor, obwohl er mir beim Zusammenstellen der Ausrüstung durchaus angebracht erschienen war, damals, als ich noch keine Ahnung hatte, wie mich das Wandern auf dem Pacific Crest Trail körperlich schlauchen würde. Seit der Nacht in dem Motel in Ridgecrest hatte ich mich nicht mehr in einem Spiegel gesehen, doch als die Männer schlafen gegangen waren, hatte ich die Gelegenheit genutzt und einen Blick in den Außenspiegel von Eds Pickup geworfen. Mein Gesicht war braun gebrannt und schmutzig, obwohl ich mich kurz davor im Fluss gewaschen hatte. Ich war etwas schmaler geworden und mein dunkelblondes Haar eine Spur heller, durch das kombinierte Einwirken von getrocknetem Schweiß, Flusswasser und Staub zugleich glatter und voller.
    Ich sah nicht wie eine Frau aus, die zwölf Kondome brauchte.
    Doch Albert hielt sich nicht damit auf, über solche Dinge nachzudenken – ob ich Sex haben würde oder nicht, ob ich hübsch war. Er plünderte weiter meinen Rucksack, erkundigte sich jedes Mal ernst, bevor er wieder einen Gegenstand, den ich für unentbehrlich erachtet hatte, auf den Weg-damit-Haufen warf. Ich nickte beinahe jedes Mal, wenn er etwas hochhielt. Nur bei The Complete Stories und bei meiner geliebten, unversehrten Ausgabe von Der Traum einer gemeinsamen Sprache blieb ich hart . Ebenso bei meinem Tagebuch, dem ich alles anvertraute, was ich in diesem Sommer tat. Und als Albert einmal nicht hersah, zupfte ich ein Kondom vom Ende der Rolle, die er aussortiert hatte, und ließ es in der Gesäßtasche meiner Shorts verschwinden.
    »Was hat Sie eigentlich hierhergeführt?«, fragte Albert, als er fertig war. Er saß auf der Bank am Picknicktisch, die breiten Hände vor sich gefaltet.
    »Warum ich auf dem PCT wandere?«, fragte ich.
    Er nickte und sah zu, wie ich die Sachen, die ich behalten durfte, wieder im Rucksack verstaute. »Ich will Ihnen sagen, warum ich es tue«, fuhr er eilends fort, bevor ich antworten konnte. »Ich habe mein Leben lang davon geträumt. Als ich von dem Trail hörte, dachte ich mir: ›Das würde ich gern machen, bevor ich vor meinen Schöpfer trete.‹« Er schlug sachte mit der Faust auf den Tisch. »Und was ist mit Ihnen, junge Frau? Nach meiner Theorie haben die meisten Leute einen Grund. Irgendetwas, was sie hier heraustreibt.«
    »Ich weiß nicht«, zögerte ich. Ich hatte keine Lust, einem über fünfzigjährigen Christen und Pfadfinder aus Georgia zu sagen, warum ich drei volle Monate allein durch die Wälder wanderte, ganz gleich wie freundlich seine Augen blitzten, wenn er lächelte. Die Gründe, die mich zu der Wanderung bewogen hatten, hätten in seinen Ohren nur anstößig und in meinen nur zweifelhaft geklungen. Sie hätten uns beiden nur offenbart, wie fragwürdig dieses ganze Unternehmen war.
    »In der Hauptsache«, sagte ich, »weil ich dachte, es würde Spaß machen.«
    »Das nennen Sie Spaß?«, fragte er, und wir lachten beide.
    Ich drehte mich um, lehnte mich gegen das Monster und schob die Arme in die Gurte. »Mal sehen, ob es etwas gebracht hat«, sagte ich, zog die Schnallen an und wuchtete ihn vom Tisch. Ich staunte, wie leicht er sich anfühlte, obwohl er mit frischem Proviant für elf Tage und meinem neuen Eispickel bepackt war. Ich strahlte Albert an. »Vielen Dank.«
    Er gluckste nur und schüttelte den Kopf.
    Glücklich drehte ich mit meinem Rucksack auf dem Feldweg eine Proberunde um den Campingplatz. Ich hatte zwar immer noch den größten Rucksack von allen – da ich solo wanderte, musste ich Dinge tragen, die andere, die

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