Der Grüne Strahl
wissenschaftliche
Promenade nach den letzten Anschwemmungen der Flut
unternahm, und wechselte mit ihnen einen jener banalen
Händedrücke, die so häufig mehr mechanisch ausgetauscht
werden.
»Mr. Ursiclos!« sagten beide Brüder Melvill.
»Ah, die Herren Melvill!« antwortete Aristobulos in ei-
nem Ton, der seine Überraschung ausdrücken sollte. »Die
Herren Melvill . . . hier . . . in Oban?«
»Seit gestern abend«, belehrte ihn Bruder Sam.
»Und wir schätzen uns glücklich, Mr. Ursiclos, Sie bei so
vortrefflicher Gesundheit zu sehen«, sagte Bruder Sib.
»Oh, ich danke, meine Herren – Sie kennen ohne Zweifel
schon die gestern eingetroffene Depesche?«
»Depesche?« fragte Bruder Sam. Sollte etwa das Ministe-
rium Gladstone schon . . .
»Hier geht es nicht um das Ministerium Gladstone«, er-
widerte Aristobulos Ursiclos ziemlich wegwerfend, »son-
dern um eine meteorologische Depesche.«
»Ach so!« antworteten beide Onkel.
»Ja, man kündigt darin an, daß das über Swinemünde
liegende Tief sich unter beträchtlicher Verstärkung mehr
nach Norden gewendet hat. Sein Zentrum liegt heute über
Stockholm, wo das Barometer, das um einen Zoll – gleich
25 Millimeter, um dem unter den Gelehrten gebräuchlichen
Dezimalsystem zu folgen – gefallen ist, nur noch 28,6 Mil-
— 87 —
limeter zeigt. Wenn der Luftdruck in England und Schott-
land noch so ziemlich der gleiche geblieben ist, so ist er
doch gestern in Valencia um ein Zehntel und in Stornoway
um zwei Zehntel gefallen.«
»Und dieses Tief . . .?« fragte Bruder Sam.
». . . führt zu welchem Schluß?« fügte Bruder Sib hinzu.
»Daß das schöne Wetter nicht mehr anhalten wird«, er-
klärte Aristobulos Ursiclos, »und daß der Himmel unter
Auftreten südwestlicher Windströmungen bald von den
Ausdünstungen des Nordatlantischen Ozeans bedeckt sein
dürfte.«
Die Brüder Melvill dankten dem jungen Gelehrten, ih-
nen diese interessanten Vorhersagen mitgeteilt zu haben,
und folgerten daraus, daß der Grüne Strahl lange genug auf
sich warten lassen werde – ein Umstand, der ihnen nicht
besonders unangenehm erschien, da er ihren Aufenthalt in
Oban verlängern mußte.
»Und Sie sind gekommen, meine Herren . . .?« fragte
Aristobulos Ursiclos, nachdem er einen Strandkiesel aufge-
hoben hatte, den er mit größter Aufmerksamkeit prüfte.
Die beiden Onkel hüteten sich wohl, ihn bei diesem Stu-
dium zu stören.
Doch als der Silex sich der schon vorhandenen Samm-
lung in der Tasche des jungen Gelehrten zugesellte, sagte
Bruder Sib:
»Wir sind in der sehr natürlichen Absicht gekommen, ei-
nige Zeit hier zu verweilen.«
— 88 —
— 89 —
»Und müssen hinzufügen«, sagte Bruder Sam, »daß auch
Miss Campbell uns begleitet hat . . .«
»Ah, Miss Campbell!« rief Aristobulos Ursiclos. »Ich
glaube dieser Silex stammt aus der gälischen Epoche . . . er
enthält noch Spuren . . . wirklich, es wird mich besonders
freuen, Miss Campbell wiederzusehen! . . . von meteorolo-
gischem Eisen. Dieses ganz besondere milde Klima wird ihr
ausgezeichnet guttun.«
»Sie befindet sich übrigens ganz nach Wunsch«, be-
merkte Bruder Sam, »und hat nicht etwa das Bedürfnis, ihre
Gesundheit wiederherstellen zu müssen.«
»Macht nichts«, erwiderte Aristobulos Ursiclos. »Die
Luft hier ist vorzüglich. 21 % Sauerstoff, 69 % Stickstoff mit
nur wenig Wasserdampf, gerade so viel, wie physiologisch
von Vorteil ist. Von Kohlensäure nur Spuren. Ich nehme je-
den Tag eine Analyse vor.«
Die Brüder Melvill glaubten darin eine zarte Aufmerk-
samkeit für Miss Campbell erblicken zu dürfen.
»Aber«, fragte Aristobulos Ursiclos, »wenn Sie nicht aus
Gesundheitsrücksichten nach Oban gekommen sind, meine
Herren, darf ich dann wissen, aus welchem Grund Sie Ihr
Cottage Helensburgh verlassen haben?«
»Wir haben keine Ursache, es vor Ihnen zu verbergen, in
Erwägung der Lage, in der wir uns befinden . . .«, antwortete
Bruder Sib zögernd.
»Darf ich in dieser Ortsveränderung«, nahm der junge
Mann, die angefangene Phrase unterbrechend, das Wort,
»den übrigens ganz natürlichen Wunsch erblicken, mit Ge-
— 90 —
legenheit zu geben, mit Miss Campbell häufiger und un-
ter Verhältnissen zusammenzutreffen, unter denen wir uns
besser kennen, das heißt schätzen lernen können.«
»Ganz recht«, erklärte Sib. »Wir glaubten, auf diese Weise
würde sich unser gemeinsames Ziel leichter erreichen las-
sen
Weitere Kostenlose Bücher