Der Gute Ton 1950
oft eingeladen ist, Blu-
men zu bringen. Das ist keine Kontoabrechnung sondern eine zarte
Aufmerksamkeit. Er hat ganz einfach in einem Blumengeschäft Blumen
gesehen, die ihm gefallen haben und glaubte, dass sie vielleicht auch
seiner Gastgeberin gefallen würden. Er bringt sie als Beweis mit, dass
er an sie gedacht hat. Es darf natürlich nur ein bescheidener Strauss
sein. Er mag vielleicht ein Vermögen gekostet haben, wenn er aus für
die Jahreszeit seltenen Blumen besteht, aber er darf keinesfalls nur mit
Mühe durch die Haustür gehen.
Schliesslich sind die Gäste auch nicht mehr verpflichtet, am Tag vor
der Einladung eine geknickte Besuchskarte abzugeben oder
einzuwerfen, durch die man früher bestätigte, dass man die Einladung
nicht vergessen hatte. Die Gäste müssen nur, wir möchten es noch
einmal erwähnen, die Einladung sobald wie möglich beantworten und
zwar in der gleichen Art, wie sie erfolgte, das heisst, wenn die
Einladung schriftlich gemacht wurde, müssen die Eingeladenen in
einem Brief antworten, und nicht durch einen telephonischen Anruf.
Sie erscheinen pünktlich, mit leeren Händen, wenn es sich nicht
zufällig um einen Geburtstag oder ein anderes Fest handelt, bei dem
sie ein Geschenk mitbringen.
DIE KLEIDUNG.
Sie sind der Gelegenheit entsprechend gekleidet. Wenn man sie
unterrichtet hat, dass es sich um eine festliche Gesellschaft handelt,
werden die Damen in langem Kleid erscheinen — falls bis zu jenem
Tag die Mode aus Paris und Wien noch nicht bestimmt hat, kurze
Röcke am Abend zu tragen. Bei einem Abendessen werden die Damen
die Reize ihres Rückens nicht enthüllen, wohl aber wenn ein Ball
vorgesehen ist. Für ein junges Mädchen besteht kein Unterschied
zwischen einem Ballkleid oder einem Festkleid, da sie der
verheirateten Frau das Vorrecht einräumt, den freien Rücken zu
zeigen.
Juwelen fragt man um so reichlicher, je später das Fest beginnt.
Wenn der Empfang sich ausdehnt, ist dies kein Grund, einen
Juwelenkoffer mitzubringen, sich jede Stunde zurückzuziehen, um
seine Waffensammlung zu vervollständigen. Sie kennen vielleicht die
Geschichte jener beiden amerikanischen Schönheiten, die gewettet
hatten, wer von ihnen juwelenbeladener im Theater erscheinen würde.
Bei der ersten glaubte man, dass sich nicht das Schaufenster eines
Juweliers, sondern die Auslage eines Trödlerladens vorwärtsbewege,
denn das Schaufenster eines Juweliers ist im Vergleich zu dem, was
diese Dame trug, leer. Schon feierte sie im stillen ihre Triumphe über
die Rivalin. Als diese jedoch ihre Loge betrat, trug sie keine Juwelen.
Man glaubte, sie habe den Kampf aufgegeben, da sah man neben ihr
ihre Kammerzofe, die eine bis an den Rand mit Schmuck gefüllte
Kassette trug. Natürlich hat die Dame ohne Juwelen mit Witz diese
geschmacklose Wette gewonnen — sie hat ihrer Rivalin zudem eine
Lektion über wirkliche Eleganz erteilt.
Es ist immer ein Fehler, zu viel Schmuck zu tragen. Vormittags legt
eine Dame nie Juwelen an, den Ehering natürlich ausgenommen, der ja
kein Schmuck ist. Die Mode des Phantasie-Schmucks ist endgültig
vorbei. Eine elegante Frau soll nicht durch zu viel Metall an
Negerinnen mit dem Ring durch die Nase erinnern. Man trage lieber
keinen Schmuck als minderwertigen. Manche Frauen meinen das
Pulver erfunden zu haben, wenn sie ihre echten Juwelen auf der Bank
in einem Safe sicherstellen und Imitationen tragen. Es ist ein
lächerliches Beginnen, denn warum sollen wir echten Schmuck
besitzen, wenn eine Nachahmung die gleiche Wirkung erzielt? Wenn
man den Schmuck nur als Geldanlage betrachtet, ist es sinnlos die
Imitationen zu zeigen, man könnte ebenso gut einen Kontoauszug oder
eine Steuererklärung als Halsband tragen.
Damen sollten auch nicht eine zu komplizierte Frisur wählen, die der
erste Luftzug zerstört, oder die eine Stunde Pflege verlangt, nachdem
man den Hut abgenommen hat. Bei der Kleidung des Mannes soll jede
Uebertreibung noch mehr vermieden werden, als bei der Garderobe
der Frau. Wenn kein Gesellschaftsanzug vorgeschrieben ist, ist dies
noch kein Grund, eine jener Krawatten zu tragen, die mit Vögeln,
Regenbogen oder nackten Frauen geschmückt ist.
Zu einem Mittagessen trägt man einen einfarbigen Anzug (kein
kariertes und kein Grätenmuster), ein weisses Hemd und eine
einfarbige Krawatte in einer diskreten Farbe. Man wählt dazu
schwarze Schuhe, aber nicht aus Lackleder, und einen schwarzen Hut.
Zu
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