Der Gute Ton 1950
einem nicht offiziellen Abendessen trägt man den Smoking. Der
Smoking macht zur Zeit dem Frack starke Konkurrenz, dem unsere,
die Bequemlichkeit überaus schätzende Zeit, das gestärkte Vorhemd
und die Perlen verdenkt. Wenn die Smoking-Jacke zweireihig ist, darf
dazu ein weiches Hemd mit normalem Umlegekragen getragen
werden, der nicht schon wie ein Lappen aussieht, nachdem man in
einen Volkswagen kriechen musste. Zu dem Smoking und dem Frack
trägt man Lackschuhe.
Bei einem offiziellen Essen empfiehlt sich die offizielle Kleidung, das
heisst, der Cut mit gestreifter Hose und langem Selbstbinder. Zum Cut
gehört der Zylinder. Der einfache Anzug für ein offizielles Essen ist:
eine schwarze eingefasste Jacke mit gestreifter Hose, einfarbiger
dunkler Krawatte und einem schwarzen Hut. Diese offiziellen Anzüge
würden natürlich bei einem Privatessen zu offiziell wirken.
Männer haben das Glück, dass die Mode für Smoking, Frack und
Empfangsanzug keine grossen Aenderungen erfährt, und doch
wechseln Kleinigkeiten von Zeit zu Zeit: zum Beispiel ist jetzt der
schwarze Binder zum Smoking etwas schmäler geworden. Wir sollen
auf diese Kleinigkeiten achten, damit wir nicht wie unsere Grossväter
aussehen und den Eindruck erwecken, dass unser Gesellschaftsanzug
nach zwanzig Jahren Pensionierung wieder zu Amt und Würden
gekommen ist.
Man kann offizielle Kleidung auch am Tage tragen, den Smoking
aber nicht vor sechs Uhr nachmittags. Ueber den Frack sprechen wir
ausführlich in dem Kapitel »Hochzeit«.
BEGRÜSSUNG DER ANKOMMENDEN GÄSTE.
Optimistische und unkluge Hausfrauen wollen es nicht wahr haben,
und doch hat das Schicksal schon über das Gelingen oder Misslingen
des Empfangs entschieden, wenn die Gäste erscheinen. Die
Gastgeberin irrt, wenn sie glaubt, dass nun die wichtigsten
Vorbereitungen gemacht werden müssen. Der Hausherr kann natürlich
die Gäste empfangen, wenn die Hausfrau nicht genügend Personal hat
und die Vorbereitungen noch nicht ganz beendet sind. Sobald die
Gäste kommen, sollte man sie nicht mehr sich selbst überlassen. Die
Hausfrau geleitet die Damen in ihr Zimmer, wo sie ihre Mäntel und
Hüte ablegen, sie zeigt ihnen das Badezimmer und gestattet ihnen, ihre
Frisiertoilette zu benutzen. Natürlich missbrauchen die weiblichen
Gäste dieses liebenswürdige Angebot nicht und bedienen sich der
Schönheitsmittel ihrer Gastgeberin. Selbstverständlich kann der Kamm
benutzt werden.
Der Hausherr nimmt sich der Herren an, die sich vielleicht auch
frisieren oder die Hände waschen wollen. Der Hausherr soll jedenfalls
den Vorschlag machen. Wenn er es nicht tut, können die Gäste ohne
unhöflich zu sein, bitten, ins Badezimmer gehen zu dürfen. Es wäre
höflichen als sich an den Tisch zu setzen mit Händen wie ein
Schornsteinfeger. Man kann natürlich nicht bei jedem Gast die Rolle
einer Amme spielen, aber der Hausherr soll nicht alle Gäste auf einmal
verlassen, um zum Keller zu laufen, während die Dame des Hauses an
den Herd eilt.
DER APERITIF.
Es ist eine französische Sitte, aber da sie gut ist, wollen wir uns zu
ihr bekehren. Es ist angebracht, die ankommenden Gäste sofort in gute
Stimmung zu versetzen und zwar reicht man dazu einen Aperitif. Man
nimmt hierzu verschiedene Südweine. Die Hausfrau und der Hausherr
gewinnen hierdurch eine kleine Gnadenfrist, über die sich niemand
beschwert, wenn der Aperitif gut ist. Diese Südweine werden nicht am
Tisch, sondern im Salon serviert. Wenn die Wohnung klein ist und
keinen Salon hat, wie es wohl heute meist der Fall ist — richtet die
Hausfrau in ihrem Esszimmer eine kleine Ecke ein, mit einem
Tischchen für Gläser und Flaschen. Danach geht man zu Tisch.
Bei einem S t a a t s e m p f a n g — oder im Film und der Operette —
erscheint ein Diener in Livree und weissen Handschuhen und meldet
»Es ist angerichtet«. Es gab wirklich einmal eine Zeit, in der solch
grosse Empfänge auch in Privathäusern üblich waren — aber das sind
für uns nur noch Märchen!
Heutzutage hat der Hausherr oder die Dame des Hauses ihre Gäste
schon bei ihrer Ankunft oder der gegenseitigen Vorstellung darauf
vorbereitet, wie sie bei Tisch »verkuppelt« sind. Früher bot man seiner
Tischdame den Arm, heute verzichtet man auf diese feierliche
Zeremonie. Die Damen betreten das Speisezimmer zuerst, dann folgt
die Hausfrau, die Herren schliessen sich an und zuletzt folgt der
Hausherr.
DIE TISCHORDNUNG
ist
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