Der Hase mit den Bernsteinaugen
zwischen Englisch, Französisch und Deutsch kommt ihm jetzt zugute. Beide Brüder haben die US-Staatsbürgerschaft angenommen, um in die Armee eintreten zu können, Rudolf in Virginia im Juli 1941, Iggie in Kalifornien im Januar 1942, einen Monat nach Pearl Harbor.
Die nächste Nachricht von Iggie ist ein Foto auf der Titelseite der Times vom 27. Juni 1944, drei Wochen nach der Landung der Alliierten in Frankreich. Es zeigt die Kapitulation eines deutschen Admirals und eines deutschen Generals in Cherbourg. Sie stehen in durchnässten Mänteln einem inzwischen ein wenig kahlen Captain I. L. Ephrussi und dem adretten amerikanischen Generalmajor J. Lawton Collins gegenüber. Karten der Normandie an den Wänden, ein aufgeräumter Schreibtisch. Alle stehen in leicht vorgebeugter Haltung da, um Iggies Übersetzung der Bedingungen von General Collins zu lauschen.
Viktor starb am 12. März 1945, einen Monat, bevor Wien von den Russen befreit wurde, zwei Monate vor der bedingungslosen Kapitulation des deutschen Oberkommandos. Er war vierundachtzig. »Geboren in Odessa, gestorben in Tunbridge Wells«, steht auf seinem Totenschein. Gelebt hat er, füge ich beim Lesen hinzu, in Wien, dem Zentrum Europas. Sein Grab auf dem Städtischen Friedhof in Charing ist weit weg von dem seiner Mutter in Vichy. Weit weg von dem seines Vaters und Großvaters im Mausoleum mit den dorischen Säulen in Wien, errichtet voller Zuversicht, in diesem neuen kaiserlichen österreichisch-ungarischen Heimatland würde es den dynastischen Ephrussi-Clan auf immer beherbergen. Am weitesten entfernt ist es von Kövecses.
Bald nach Kriegsende erhielt Elisabeth einen langen Brief von ihrem Onkel Tibor, mit der Schreibmaschine getippt. Pips hatte ihn im Oktober aus der Schweiz weitergeleitet. Der Brief war auf beinahe durchscheinendem Papier geschrieben und enthielt furchtbare Nachrichten.
»Ich möchte nicht alles wiederholen, aber ich muss noch einmal über Jenö und Eva schreiben. Es ist schrecklich, an die Qual zu denken, unter der sie starben. Jenö hatte bereits die Bestätigung in Händen, bevor sie aus Komarom ins Reich deportiert wurden, denn man hatte ihm die Heimreise gestattet. Er wollte Eva nicht verlassen, weil er glaubte, man würde ihnen erlauben, zusammenzubleiben, aber an der deutschen Grenze wurden sie sofort getrennt, und man nahm ihnen die besseren Kleidungsstücke ab, die sie trugen. Beide starben im Januar.«
Eva, die Jüdin, war ins KZ Theresienstadt gebracht worden, wo sie an Typhus starb; Jenö, NichtJude, war in einem Arbeitslager an Erschöpfung zugrunde gegangen.
Tibor fährt fort, erzählt Neuigkeiten von den Nachbarn in Kövecses, zählt Namen von Freunden der Familie und Verwandten auf, von denen mir keiner ein Begriff ist: Samu, Herr Siebert, Familie Erwin Strasser, die Witwe von Jänos Thuroczy »ein zweiter Sohn, der seit damals vermisst wird«, im Krieg deportiert oder in den Lagern verschwunden. Er schreibt von der Verwüstung in seiner Gegend, den niedergebrannten Dörfern, dem Hunger, der Inflation. Auf dem Land gibt es kein Wild mehr. Das Gut neben Kövecses, Tavarnok, »ist leer und niedergebrannt. Alle sind gegangen, in Tapolcäny ist nur die alte Dame. Ich besitze bloß, was ich auf dem Leib trage.«
Tibor war in Wien im Palais Ephrussi gewesen: »In Wien konnten wir ein paar Dinge retten … Das Bildnis der Anna Herz (Makart) ist noch dort, ein Porträt von Emmy (Angeli) und das Bild von Taschas Mutter (ebenfalls Angeli, glaube ich), ein paar Möbelstücke, Vasen etc. Fast alle Bücher von Deinem Vater und mir sind verschwunden, wir haben ein paar gefunden, einige mit Wassermanns Widmung.« Ein paar Familienporträts, etliche Bücher mit Widmung und einige Möbel. Keine Erwähnung, wer jetzt im Haus ist.
Im Dezember 1945 entscheidet Elisabeth, sie müsse jetzt nach Wien zurückkehren, um nachzuforschen, wer und was noch da sei. Und um das Bild ihrer Mutter zu retten und nachhause zu bringen.
Elisabeth verfasste einen Roman über ihre Reise. Er ist unveröffentlicht. Und nicht zu veröffentlichen, denke ich, als ich das Typoskript durchsehe, 261 getippte Seiten, Korrekturen sorgfältig mit Tippex durchgeführt. Die ungefilterte Emotion macht ihn zu keiner angenehmen Lektüre. Elisabeth tritt darin als fiktiver jüdischer Professor Kuno Adler auf, der nach dem Anschluss zum ersten Mal aus Amerika nach Wien zurückkehrt.
Es ist ein Buch über Begegnungen. Sie schreibt über die viszerale Reaktion ihrer
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