Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
heute nicht anwesend sein zu müssen, und später eine Abschrift der heutigen Verhandlung ausgehändigt zu bekommen. Er will entsprechende Einlassungen und Anträge später stellen, falls er sie für nötig erachtet«, sagte O'Reilly.
»Was? Ich soll heute ohne Rechtsbeistand sein?«, fragte Carpenter.
Unbeeindruckt sagte der Vernehmungsbeamte: »Fahren wir fort. Wir führen folgende Beweisaufnahmen vor …«
»Einen Moment! Ich verlange den Beistand eines offiziellen Anwalts!«
O'Reilly warf Carpenter einen langen kalten Blick zu.
»Du hast einen angemessenen Rechtsbeistand, Captain Carpenter, und er wird zu gegebener Zeit Gelegenheit erhalten, entsprechende Erklärungen abzugeben. Ich wünsche keine weiteren störenden Ausbrüche, bitte! Wir führen folgende Beweisaufnahmen durch und nehmen sie zu Protokoll …«
In bleierner Schwere sah Carpenter zu, wie Beweisstück A auf dem Visor am Ende des langen schlauchartigen Raums erschien. Es war die Aussage Rennetts (Maintainance/Operations), die schilderte, wie sie mit Kapitän Carpenter die Calamari Maru besucht hatte. Knapp und eindrucksvoll umriss Rennett die Zustände, die sie an Bord des Kalmarschiffs vorgefunden hatte: die abgesetzten, unter Beruhigungsmitteln stehenden Offiziere, die Angaben der meuternden Kovalcik. Carpenter kam das alles ziemlich wahrheitsgemäß vor, und es schien in keiner Weise schädlich für ihn zu sein. Dann folgte Beweisaufnahme B, die Aussage Hitchcocks (Navigator), der berichtete, wie das Rollen des eingefangenen Eisbergs in der gröber werdenden See den Havaristen schließlich geflutet hatte, wie die drei Dinghis hilfesuchend auf die Tonopah Maru zusteuerten und wie Kapitän Carpenter seiner Mannschaft befohlen hatte, sich nicht um die Schiffbrüchigen zu kümmern, sondern die Rückfahrt nach San Francisco anzutreten. Diese Aussage erschien selbst Carpenter ziemlich scheußlich, doch er konnte nicht behaupten, dass Hitchcock irgendeinen Punkt besonders verdreht dargestellt hätte. Es war tatsächlich so, wie es passiert war.
Er nahm an, jetzt würden die Aussagen von Caskie und Nakata folgen. Danach würde man ihm vermutlich Gelegenheit geben, etwas zu seiner Verteidigung zu sagen – die schwierige Lage zu erklären, die Beengtheit auf seinem Schiff anführen, die unzureichende Versorgung mit Proviant und Screen, zu erklären, dass er sich in diesem entscheidenden Moment entschlossen hatte, das Überleben seiner eigenen Mannschaft für wichtiger zu halten als das dieser Fremden. Er war bereits vorher entschlossen gewesen zu erklären, wie sehr es ihn bedrückte, diese Schiffbrüchigen ihrem Schicksal überlassen zu haben, dass er dies zutiefst bedauerte, aber dass es notwendig gewesen war, und dass er hoffe, man werde ihm diese Zwangsentscheidung vergeben und auch, dass er danach zu durcheinander war, um vorschriftsmäßig Meldung zu machen. Ob Tedesco damit einverstanden war, dass er sich reumütig zeigte? Vielleicht nicht, vielleicht schwächte so etwas seine Chancen vor Gericht. Ach, scheiß auf Tedesco! Der hätte hier sein müssen, um ihn zu beraten, und er war nicht erschienen.
Carpenter gestattete sich ein Fünkchen Zuversicht, trotz allem. Ihm ging durch den Kopf, was Rhodes zu ihm gesagt hatte.
– Die Firma wird zu dir stehen …
»Beweisstück C«, verkündete O'Reilly. »Aussage von Kapitän Kovalcik.«
Was?
Ja, da erschien sie auf dem Visorschirm, mit einem steinernen Gesicht, eisigen Augen, eindeutig Kovalcik in Fleisch und Blut. Sie war also gar nicht draußen auf See in dem offenen Boot zugrunde gegangen. Da war sie, leibhaftig, und starrte grimmig aus dem Visor, und sie erzählte eine schauerliche Seemannsgeschichte von ihrem Überleben auf dem Meer, von Entbehrungen und Qualen, von der schließlichen Rettung durch ein Patrouillenschiff. Die Hälfte ihrer Mannschaft war gestorben. Und alles nur, weil der Kapitän des Samurai-Eisbergtrawlers keinen Finger rühren wollte, um ihnen zu helfen.
Carpenter selbst musste sich eingestehen, dass dies eine furchtbare Beschuldigung war. Aber Kovalcik sagte kein Wort über die Meuterei, deren Anführerin sie gewesen war, sie unterschlug ganz ungeniert die Tatsache, dass die Calamari Maru als Konsequenz ihrer eigenen Fehlentscheidung, weiter in der Nähe des riesigen eingefangenen Eisbergs zu bleiben, geflutet worden war; und sie erwähnte mit keiner Silbe Carpenters Beteuerungen, dass sein Schiff für die Übernahme einer so großen Zahl von Passagieren zu klein
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