Der hellste Stern am Himmel
Foto zu urteilen, war es eine traditionelle Hochzeit – ganz in Weiß. Maeves Kleid war schlicht und elegant, der schwere Satin fiel ohne weiteren Zierrat glatt von der erhöhten Taille. Der weite Halsausschnitt
gab den Blick auf die weiße, straffe Haut der Schultern frei, ihr dichtes, blondes Haar war aufgesteckt und mit einer Perlenspange befestigt, und ihr Gesicht war von ein paar einzelnen Locken gerahmt. Sie sah aus wie eine der Heldinnen aus einem der Jane-Austen-Romane, die sie offenbar so gern las. Matt, der Maeve seinen Arm um die Taille gelegt hatte und in die Kamera blickte, als hätte er im Lotto gewonnen und wollte seine Freude nicht allzu offensichtlich zeigen, trug einen dunklen, festlichen Anzug. Ein Anzug, wie Männer ihn bei der Unterzeichnung eines Friedensvertrags trugen. Offenkundig hatte er diese eindrucksvolle Aufmachung gewählt, um allen zu zeigen, wie bedeutend die Ehe für ihn war. (Ich will nicht gemein sein, aber vor drei Jahren, als das Foto gemacht wurde, waren beide erheblich schlanker. Offenbar hatte Genusssucht damals keine so große Rolle in ihrem Leben gespielt.)
Maeve leerte ihr Glas Orangensaft, Matt ließ den Löffel klappernd in die Schüssel fallen, beide nahmen eine Vitamintablette, die sie mit Wasser aus einem gemeinsamen Glas runterschluckten, dann – endlich – verließen sie die Wohnung und machten sich auf den Weg zur Arbeit. Matt hatte ein Auto, polierte Schuhe, einen erstklassigen Anzug und einen erstklassigen Haarschnitt. Maeve hatte ein Fahrrad, farblosen Lippenbalsam und eine so scheußliche Cordhose (zu groß und von einem wirklich hässlichen Olivgrün), dass man denken konnte, sie sei ihrer Hässlichkeit wegen ausgewählt worden.
Sie küssten sich zum Abschied. »Pass gut auf«, sagte Matt.
Worauf ?, fragte ich mich. Jeder, der die Tollkühnheit
besaß, mit dem Fahrrad durch den morgendlichen Berufsverkehr zu fahren, musste mit Ermahnungen von seinen Liebsten rechnen, aber ich wusste, dass Maeve sich nicht davor fürchtete, durch einen unvorsichtigen Autofahrer zu Fall gebracht zu werden. Aber Angst hatte sie, das kann ich nicht leugnen, ich wusste nur nicht, wovor. Sie verschloss sich vor mir. Jedenfalls hatte sie keine Angst, wegen ihrer scheußlichen Kleider verspottet zu werden. Interessant.
Matt starrte Maeve hinterher, bis sie vom Verkehr verschluckt war, dann fiel ihm sein Auto ein, das so weit weg geparkt war, dass er kurz überlegte, ob er mit dem Bus bis dahin fahren sollte.
SECHZIG TAGE …
Der Hund in Jemimas Wohnung hatte die Schwindelanfälle, die ich ihm am Abend zuvor verursacht hatte, schadlos überstanden. Jemima wollte ihn in die Küche locken, aber er verweigerte sich. »Grollo, Grollo, nun komm schon, Grollo, mein Lieber.« Anscheinend hieß der Köter tatsächlich Grollo. Sehr … also sehr seltsam.
Jemima war schon seit Viertel nach sechs auf. Langes Herumlungern im Bett war ihre Sache nicht. Unter lautem Krachen der Kniegelenke beugte sie sich zu dem Hund herunter, bis ihr Gesicht mit dem von dem schmollenden Grollo auf einer Höhe war. »Bloß weil Fionn nachher kommt, heißt das nicht, dass ich dich weniger liebhabe.«
Das erklärte alles: Grollo schmollte, weil er bemerkt hatte, dass »der Helle« zu Besuch kommen würde.
»Komm, hier ist dein Fressen.«
Im nächsten Moment tanzte Grollo den Frühstückstanz. Er war ein feinfühliges Geschöpf und verzieh nicht leicht, außer wenn es ums Fressen ging.
Ich hielt mich von Jemima fern. Ich wollte sie nicht ängstigen. Nicht unnötigerweise. Trotzdem erreichten mich ihre Gedanken. Ihr Puls schlug in einem starken, regelmäßigen, lauten Rhythmus, der die massigen Möbel in der Wohnung übertönte und Aufmerksamkeit verlangte.
Voller Zufriedenheit dachte sie über das Wort »Groll« nach. So ein hervorragendes Wort, dachte sie. So geeignet für das, was es ausdrückte. Man konnte es nicht aussprechen, ohne ein finsteres Gesicht zu machen. Ein anderes Wort, das ihr gut gefiel, war »Krompir«. Es war das serbische Wort für Kartoffel und hatte einen sehr befriedigenden Kauklang. Oder »bizarr«, möglicherweise ihr Lieblingswort, das einen hochgestimmten, freudigen Klang hatte, bei dem sie immer an das Schellengeläut eines Tamburins denken musste.
Grollo war für die meisten ein seltsamer Hundename, aber wenn jemand sie darauf ansprach, dann antwortete sie, dass der Hund sich den Namen selbst ausgesucht hätte. Im Tierheim hatte man ihr gesagt, dass er auf den Namen Declan
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