Der hellste Stern am Himmel
sie bestand auf einer Extragebühr von zwanzig Euro, weil das Fruchtwasser über den Rücksitz geflossen war. Billy gab ihr das Geld mit feindseliger Miene, und Peggy, vor Schmerzen gekrümmt, rief mit verzerrtem Gesicht: »Das ist gemein
von dir. Ich dachte, wir sind ein Team, wie im Film. Ich wollte das Baby schon Lydia nennen.«
Lydia zuckte die Achseln. Geschäft war Geschäft. Der Rücksitz war verschmutzt. Und wenn jetzt das Kind ein Junge war?
Damit fing es an. Mit sechzehn machte sie den Führerschein und arbeitete von da an für ihren Vater. Das ging nur zwei Jahre so, aber es war lang genug, um sie für eine regelmäßige Arbeit untauglich zu machen. Als sie nach Dublin zog, suchte sie sich einen Bürojob, doch nach einer Weile entdeckte sie, dass sie jemanden nicht einfach vor die Tür setzen konnte, wenn er ihr auf die Nerven ging.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie entlassen wurde; man sagte ihr, es läge an ihrer Einstellung. Um sich über Wasser zu halten, fuhr sie wieder Taxi. Nur vorübergehend, bis sich ihre Einstellung geändert hatte. Doch das dauerte länger als vermutet, und bis dahin musste sie notgedrungen beim Taxifahren bleiben.
DREIUNDFÜNFZIG TAGE
»Jemima, was machst du so lange?«, rief Fionn. »Das Auto ist da.«
»Ich komme ja schon.« Sie hatte Mühe, den Knopf an ihrem Rockbund zu schließen. Unerklärlicherweise war ihr der Rock plötzlich zu eng geworden. Allerdings hatte sie nicht vor, sich einen neuen zu kaufen, nicht in ihrem Alter. Sie hielt nicht viel von Verschwendung, sie war achtundachtzig Jahre alt, und obwohl sie aus einer langlebigen Familie stammte, war es höchst unwahrscheinlich, dass sie noch vierzig Jahre hatte, um einen neuen Rock aufzutragen. Obwohl sie, nebenbei bemerkt, auch keineswegs vorhatte, bald zu sterben.
Genauso wenig hatte sie die Absicht, Diät zu halten. Das war für andere Frauen, Frauen, die anders waren als sie selbst, arme Kreaturen, die ihre Essgelüste nicht unter Kontrolle halten konnten und eine ganze Packung Eis in einem Rutsch wegputzten. Essen, so hatte sie es immer verstanden, diente nicht dem Genuss, sondern lediglich dazu, den Körper mit Energie zu versorgen, damit er die nötige Kraft hatte, Gutes zu tun. Seit ihrem siebzehnten Lebensjahr hatte sie zweiundfünfzig Kilo gewogen – abgesehen von einer kurzen Zeit vor vier
Jahren, als sie mit einer Krebserkrankung zu kämpfen hatte und auf neunundvierzig Kilo abgemagert war, aber der Krebs kriegte sie nicht unter und musste sich geschlagen geben – und daran sollte sich auch jetzt nichts ändern, ganz gleich, was der störrische Knopf ihr sagen wollte –
»Jemima, alles in Ordnung?«, rief Fionn. »Der Fahrer wird ungeduldig.«
Wie lustig! Fionn, der unzuverlässigste Mensch der Welt, saß ihr, Jemima Churchill, im Nacken, für die ihr Leben lang der Grundsatz »Pünktlichkeit kommt gleich nach Frömmigkeit« gegolten hatte und die nie davon abgewichen war.
Mit vor Anstrengung schwitzender Hand gelang es ihr endlich, den Knopf in das Knopfloch zu zwingen, worauf sie triumphierend aufatmete. Doch die Heftigkeit des Atems war zu viel für den Knopf, und er sprang vom Bund ab und flog durchs Zimmer, wo er Grollo genau am rechten Auge traf. Grollo stieß einen schrillen Ton aus, war aber insgeheim hocherfreut. Der Knopf hatte ihm keinen Schmerz zugefügt – es hatte viel dramatischer ausgesehen, als es war –, aber jetzt hatte er einen Grund, die nächsten Tage verstimmt zu sein.
»Jemima!«, rief Fionn mit lauter Stimme. »Grainne wartet auf uns. Wir müssen los!«
Jemima musste lachen. Grainne Butcher hatte die Zügel fest in der Hand. Es war erst der zweite Tag von Fionns Fernsehkarriere, und schon jetzt hinterließen das frühe Aufstehen und die langen Arbeitsstunden ihre Spuren. Er war es nicht gewöhnt, zu einer bestimmten Zeit irgendwo erscheinen und dann länger bleiben
zu müssen, als ihm passte. Trotzdem, vielleicht tat es ihm gut, sich an einen geregelten Zeitplan halten zu müssen.
Jemima küsste Grollo zum Abschied, strich ihre Strickjacke über dem aufspringenden Rockbund glatt und nahm ihre uralte braune Handtasche. Fionn schritt im Flur ungeduldig auf und ab, und dabei sah er so attraktiv aus, dass ihr bei seinem Anblick ganz warm ums Herz wurde. Grainne Butchers Stylistin hatte darauf bestanden, dass er sich die Haare, seine Jeans und seine Jacke mit den vielen Taschen wusch. Er war ein Prinz, dachte Jemima, ein schöner, sauber gewaschener
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