Der hellste Stern am Himmel
Prinz.
Heute ist ein ganz besonderer Tag für Fionn. Nur dass er das nicht weiß. Jedenfalls ist es ihm nicht bewusst. Mehrere Schichten tiefer in seinem Unbewussten beginnen sich Kontinentalplatten zu verschieben, auseinanderzudriften und wieder aneinanderzukrachen, was Unruhe bedeutet.
Heute ist Fionn genau sechsunddreißig Jahre und einhundertachtundzwanzig Tage alt. Damit ist er einen Tag älter als seine Mutter, als sie starb. Er lebt jetzt länger als sie. Bis zu diesem Tag musste Fionn alle Anstrengung aufbieten, um selbst am Leben zu bleiben. Sich selbst zu schützen, hat so viel Energie in Anspruch genommen, dass er keine für andere Menschen erübrigen konnte.
Doch heute beginnt ein neuer Lebensabschnitt.
Heute ist Fionn zum ersten Mal frei, sich zu verlieben.
Ich bin ehrlich gesagt höchst gespannt.
Fionn war wie ein Windhund beim Startschuss. In seinem neuen aufregenden Leben hatte er keine Zeit zu verschwenden. Er eilte die Treppe hinunter, Jemima und Grollo, die ihn zu den Dreharbeiten begleiteten, kamen hinter ihm her. Er öffnete die Haustür, … und vor ihm stand strahlend im hellen Licht die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Er war wie vor den Kopf geschlagen und blieb abrupt stehen, so dass Jemima und Grollo auf ihn prallten. Sein Blick hing an dem weichen rosigen Mund dieser Frau, an ihrer rosa-weißen Haut, an ihrem Schopf blonder Locken, ihrer Frische, ihrer Unschuld, ihrem Fahrrad, ihrer –
Von der Intensität seines Blickes aufgeschreckt, hob die Frau den Kopf, und ein Ausdruck erstarrter Ehrfurcht trat in ihr Gesicht.
Fionn sprang die letzten Stufen zur Straße hinunter, sein Haar leuchtete golden im sonnigen Morgenlicht. »Ich bin Fionn Purdue.« Er streckte die Hand aus.
Die Frau beachtete Fionns Hand nicht. Sie blieb stumm und regungslos stehen und starrte Fionn an, als wäre sie zu Stein erstarrt.
Aus dem Nichts erschien ein Mann, jung und im Anzug. Fionn hatte ihn bisher nicht bemerkt.
»Matt Geary«, sagte der Mann.
Wieder streckte Fionn seine Hand aus, und wieder wurde sie nicht beachtet.
»Und das« – Matt beugte sich zu Fionn vor und brüllte ihm ins Ohr – »ist MEINE FRAU.«
»Wie heißen Sie?«, sagte Fionn mit hauchiger Stimme zu der Schönheit, aber sie antwortete nicht.
Fionn drehte sich zu Matt um und schien gebannt auf Informationen von ihm zu warten.
Sekunden vergingen, dann sagte Matt zögernd: »Maeve.«
»Maeve«, wiederholte Fionn mit Staunen. Maeve. Was für ein schöner Name, womöglich der schönste Name, den er je gehört hatte, und völlig passend, da er der schönsten Frau der Welt gehörte. »Maeve, die Kriegerkönigin. Ich bin Ihr neuer Nachbar. Ich wohne im ersten Stock bei Jemima Churchill. Kennen Sie Jemima?« Mit einem hektischen Wedeln der Hand bedeutete er Jemima, sie möge sich zeigen. Er blickte über die Schulter und zischte: »Komm schon, sag Maeve Guten Tag!«
»Ich kenne Matthew doch. Und Maeve auch«, sagte Jemima höflich.
»Ich werde eine Weile hier wohnen.« Fionn richtete sich ausschließlich an Maeve. »Zwei Monate oder so.«
Ein Hupen unterbrach seinen Traum. »Fionn, bitte beeilen Sie sich!« Das war Ogden, der Fahrer. »Grainne rastet gleich aus.«
Plötzlich war Fionn richtig froh, dass er eine Fernsehshow aufnahm. Das schrecklich frühe Aufstehen, der Conditioner beim Haarewaschen und die weibischen neuen T-Shirts lohnten sich doch. Vielleicht wäre Maeve beeindruckt. »Ich habe meine eigene Gartenshow«, erzählte er. »Dein eigenes Paradies heißt sie. Channel 8.« Kaum merkte er, dass Jemima ihn am Ellbogen nahm und entschlossen zum Auto führte. »Donnerstagabend«, rief er über seine Schulter der Erscheinung zu, die
stumm und starr dastand. »Ganz bald schon! Achten Sie darauf!«
Die Türen wurden zugeschlagen, Ogden trat das Gaspedal durch, und Fionn sah verzückt aus dem Rückfenster, bis sie um die Ecke gebogen waren und er sie nicht mehr sehen konnte.
»Wer war das?«, fragte er Jemima.
»Lass die Finger von ihr.« Jemima klang ungewohnt scharf.
Fionn lachte glücklich. »Du brauchst doch nicht eifersüchtig zu sein! Ich werde dich immer am meisten lieben. Also, was kannst du mir erzählen?«
Jemima presste die Lippen zusammen. Klatsch und Tratsch waren ihre Sache nicht. Obwohl sie das bedauerte. In ihrem langen Leben hatte sie so manche Fleischeslust erlebt: siebenundsechzig Gläser Sherry (jedes Jahr zu Weihnachten eins, von ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr an bis zum heutigen Tag),
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