Der Herr Der Drachen: Roman
spähte wieder zu Attar hoch.
»Lass uns aufbrechen.«
Der Reiter nickte und legte ihm schweigend eine Hand auf die Schulter, dann drehte er sich um und machte sich auf den Weg, um den Hauptmann in Kenntnis zu setzen.
Sie brachen noch vor der Patrouille auf. Tallis saß rittlings in Brens Sattel auf Haraka; hinter ihm hatten sie Jared festgebunden. Attar ritt auf Marathin.
Sie flogen tief und schnell über die dunkle Landschaft hinweg, ließen den Fluss hinter sich zurück und wandten sich nach Osten. Als die Sonne aufging, hatten sie sich schon weit vom Bauernhaus entfernt und rauschten über weite, grasbewachsene Ebenen, die immer wieder von unbewegten Tümpeln durchbrochen waren. Vögel auf langen, dünnen Beinen stelzten durch die hohen Gräser und bohrten ihre Schnäbel in den Schlamm. Schwärme von kleineren Vögeln stiegen in Wolken auf und ließen sich in aufeinander abgestimmten Bewegungen wieder sinken, und ihr Gezwitscher erfüllte die Morgenluft. Keiner kümmerte sich um die Drachen.
Tallis’ Finger waren steif davon, dass er sich an der niedrigen Stange vorne am Sattel festklammerte, und sein Nacken schmerzte, weil er sich immer wieder umdrehte, um zu sehen,
wie es Jared ging. Dieser war irgendwann aufgewacht, und seine Finger auf Tallis’ Arm hatten gezittert. Er hatte etwas gemurmelt, war dann aber wieder in Schweigen zurückgesunken. Tallis hoffte, dass das ein gutes Zeichen war, aber der harte Knoten der Angst in seinem Bauch sagte ihm etwas anderes.
Die Drachen suchten für sie ein verhältnismäßig trockenes Stück Land mit einem kleinen Bach, und sie machten Rast, um sich zu erleichtern und ihre Wasserschläuche aufzufüllen. Insektenschwärme stiegen vom Boden auf und umschwirrten sie. Die Luft war stickig, und der Schweiß tropfte ihnen in die Augen. Tallis versuchte, Jared ein wenig Wasser einzuflößen, aber es gelang ihm nur mit wenigen Tropfen. An Essen war wegen der hartnäckigen Insekten überhaupt nicht zu denken, und so stiegen sie schon bald wieder auf die Drachen und flogen davon. Erleichtert seufzten sie, als die kühlere Luft die Fliegen und den Schweiß gleichermaßen von ihren Gesichtern fortwischte.
Sie hielten nicht mehr an, bis die Nacht hereinbrach. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie das Grasland bereits hinter sich gelassen, und die ersten Baumgruppen kamen in Sicht. Die Gegend wurde zerklüfteter, und Hügel und Hänge tauchten auf, die mit dichtem Grün bewachsen waren. Die warme Luft war schwer von der Feuchtigkeit, und Wolken drängten sich am Himmel. Tallis’ Hemd war schweißgetränkt, und als Haraka und Marathin endlich auf einer Lichtung landeten, die von bewaldeten Hügeln umgeben war, fühlte er sich ausgehungert.
Attar half ihm, Jared vorsichtig von Harakas Rücken zu heben, und sie legten ihn zwischen sich auf das dichte, kurze Gras, sodass Tallis die Wunde säubern und frisch verbinden konnte. Das Licht war gedämpft, denn die Sonne war hinter den Wolken verschwunden, aber es reichte aus, dass Tallis die Röte sehen konnte, die sich an den Rändern der Verletzung ausbreitete. Die Wunde hatte sich entzündet. Mit aller Macht versuchte er, die aufkeimende Panik zu verdrängen, und legte einen neuen Stoffstreifen auf den Rücken, um den klaffenden Spalt zu bedecken. Er würde Jared nicht sterben lassen. Er würde es nicht zulassen.
Er verfluchte die Führer, die ihn hierhergebracht hatten, und ignorierte die Angst, die in seinem Magen rumorte. Sollten sie es doch hören, dachte er bitter. Sie sollten ruhig wissen, was ihre Einmischung aus ihm gemacht hatte: einen Ausgestoßenen, einen Mörder. Ich habe gesehen, was du getan hast. Ich weiß, was du bist . Er schob die Worte beiseite. Er konnte nicht ändern, was er war.
Dann stand er auf, um seinen Wasserschlauch aufzufüllen, und sog die Luft ein, als ihm ein merkwürdiger Geruch in die Nase stieg. Ein süßer, stechender Duft schwebte in der windstillen Luft, und dann drang ein klagender Schrei durch die umstehenden Bäume. Tallis lief ein Schauer über den Rücken.
»Vielleicht irgendein Nachtvogel?« Attar hatte seinen besorgten Blick aufgefangen.
Tallis nickte. »Wie weit ist es noch bis zu den Wildlanden?«
»Es ist jetzt nicht mehr weit. Wir haben noch ein wenig Trockenfleisch, das wir uns teilen können, und dann werden wir wieder aufbrechen. Wir können keine Rast machen.« Sein Blick ging an Tallis vorbei zu Jared, der still und reglos auf dem Boden lag. Der Gesichtsausdruck des Kriegers war
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