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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Len«, schlug ich vor. »Dann erklärst du den anderen Senioren, du hättest mich entlarvt und ich wäre daraufhin geflohen. Dann würde dich doch niemand bestrafen, oder?«
    Len sprang vom Bett auf und kam zu mir. Er nahm meine Hand und drückte sie. »Ich werde dich nicht verraten, Senior«, versicherte er mit fester Stimme. »Das schwöre ich! Ich will dein Partner sein. Wir we r den uns schon etwas einfallen lassen.«
    Nun drückte auch ich seine Hand. Schweigend standen wir da und blickten einander in die Augen.
    »Schön, dass ihr die Hoffnung nicht verloren habt, Jungs«, schnurrte der Kater irgendwann. »Das freut mich. Selbst wenn außer Frage steht, wer sich hier etwas ausdenken muss. Aber gut, das schaff ich schon.«
    »Jetzt hör mal zu, du halbfertiger Zauberer!«, polterte ich los. »Wenn du nicht aufhörst, dich über uns lustig zu machen, werden wir beide dir ordentlich einheizen!«
    »Nicht doch! Ich bitte vielmals um Verzeihung!«, rief der Kater und tat erschrocken. »Eure Freundschaft geht mir doch außerordentlich zu Herzen. Küsst ihr euch auch noch?«
    Ich warf ein Kopfkissen nach dem Sonnenkater, traf ihn jedoch nicht. Aber Len, der sich bereits das andere Kissen geschnappt hatte, zielte besser. Zutiefst beleidigt kroch der Kater unter dem Kissen he r vor und leckte sich die Pfoten. Wir lachten aus vollem Hals los, nicht weil wir unsern Spaß gehabt hatten, sondern einfach weil die Anspa n nung von uns gewichen war.
    »Gut, schließen wir Frieden«, sagte der Kater, nachdem er das Pu t zen beendet hatte. »Wie lange dauert es, bis man mit den Flügeln u m gehen kann, Len?«
    »Ein Jahr«, erklärte Len.
    »Lass mich die Frage anders formulieren. Wie lange bräuchtest du, um deinem nichtsnutzigen Senior beizubringen, sich in der Luft zu halten, ohne dass er den Eindruck erweckt, er sei ein flügellahmes Huhn?«
    »Einen Morgen«, antwortete Len lächelnd. »Zu fliegen ist gar nicht so schwer. Zu fliegen und gleichzeitig zu kämpfen, das ist das Pro b lem.«
    »Hervorragend. Dann bringst du es ihm morgen früh bei. Anschli e ßend brecht ihr beide zu eurer Patrouille auf, wobei ihr versuchen werdet, einen möglichst großen Bogen um die Freiflieger zu machen. Aber darin hast du ja Übung, oder?«
    Schuldbewusst senkte Len den Kopf.
    »Achte nicht auf den Kater«, flüsterte ich hinter ihm. »Er ist eine Giftschleuder, wie sie im Buche steht.«
    »Geht jetzt besser schlafen«, sagte der Kater, der mich mit einem unzufriedenen Blick maß. »Morgen müsst ihr eure Kräfte und euern Verstand beieinander haben.«
    »Und du?«
    »Ich werde mich nach unten begeben, meinen Gedanken nachhä n gen und ein paar Bücher durchblättern«, antwortete er. »Einer muss ja die Kopfarbeit übernehmen, nicht wahr?«
    »Gute Nacht, Len«, sagte ich. Er und der Sonnenkater verließen mein Zimmer, ich sammelte die Kissen ein und verschwand wieder im Bett. Meine Laune war, warum auch immer, hervorragend. Als zehn Minuten später der Kater ins Zimmer schlich, sich leise auf das freie Kopfkissen legte und seine frisch mit Sahne beschmierten Pfoten a b leckte, hegte ich keinen Zweifel mehr daran, dass alles gut werden würde.
    »Gute Nacht«, flüsterte ich.
    »Menschen wünscht man eine gute Nacht. Aber Sonnenkatern wünscht man einen strahlenden Sonnenaufgang.«

5 Feigheit
    A ls ich zum ersten Mal Lens Overall anzog, wurde . mir klar, was es mit Flügeln auf sich hatte.
    Der feste Stoff klebte an mir wie ein Gummihandschuh an den Fi n gern. Plötzlich spürte ich einen Schmerz in den Schultern und schrie auf. Es war, als säße auf jeder Schulter ein Kater und trete mit ausg e fahrenen Krallen auf mir herum.
    »Keine Angst«, beruhigte mich Len. »Die Flügel brauchen Kraft.«
    »Etwa meine?«
    »Wessen denn sonst? Was hast du denn gedacht, wie du fliegen würdest? Indem du mit den Armen wackelst wie ein Vogel?«
    Eine Minute lang wand und krümmte ich mich, gab unter Lens vo r wurfsvollem Blick aber schließlich Ruhe. Außerdem ließ auch der Schmerz allmählich nach.
    »Geht das die ganze Zeit so?«
    »Du gewöhnst dich daran«, tröstete mich Len. »In einem Monat merkst du das gar nicht mehr. Also beweg mal die Arme … «
    Ich hob und senkte die Arme. Der Stoff, der an den Ärmeln hera b hing, klatschte leise, spannte sich jedoch nicht.
    »Stell dir Flügel vor«, wiederholte Len immer wieder und begutac h tete meine unbeholfenen Versuche, mich in die Luft zu erheben. Wir übten im unteren Zimmer, der Kater lag

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