Der Herr der Habichts - Insel
ihre Hand in seine beiden Hände nahm.
»König Sitric ist im Anmarsch«, sagte er. »Er wird bald hier sein. Ich werde dir helfen, prächtige Gewänder anzulegen, um die Augen des Königs zu blenden und sein Geschlecht zum Leben zu erwecken. Vertrau mir, Mirana. Ich will nur dein Bestes.«
Sie öffnete den Mund, doch er kam ihr zuvor. Sie glaubte, Angst in seiner Stimme zu hören, als er sagte: »Bei den Göttern, ich hoffe, du bist wirklich noch Jungfrau, und daß alles andere eine dreiste Lüge war. Ich hätte dich gestern abend binden lassen müssen, um dich eigenhändig zu untersuchen. Aber Sira und Leila lenkten mich ab.« Er machte eine Pause, blickte zu seinen Männern hinüber, die sich für den Empfang des Königs rüsteten, und fuhr beschwörend fort: »Hör mir zu, Mirana, ich gebe dir einen guten Rat. Ich gehe davon aus, daß du die Wahrheit gesprochen hast, wie du es immer getan hast. Ich gehe davon aus, daß du verheiratet bist, aber du mußt den Wikinger vergessen. Du wirst ihn nie Wiedersehen. Um deine Haut zu retten, wirst du große Schmerzen Vortäuschen, wenn der König dich heute nacht besteigt. Jammere und stöhne laut, dann wird der König nicht an deiner Jungfräulichkeit zweifeln. Und er wird dich aus
Dankbarkeit mit seiner Gunst und mit Gold und Silber überhäufen. Hab Vertrauen zu mir.«
Er hielt inne, und seine Hände glitten sanft über ihre Arme. »Komm, ich helfe dir, dich anzukleiden. Sira war in deiner Kammer und hat sich von deinem Schmuck bedient. Wenn du ihn wiederhaben willst, zwing ich sie, ihn dir wiederzugeben.«
Mirana nickte. Solange sie am Leben war, gab es noch Hoffnung. Sie wollte nicht sterben. Es war töricht von ihr, den Gedanken überhaupt in Erwägung zu ziehen. Sie hatte nicht die Absicht, durch ihre eigene Hand zu sterben, selbst wenn es den Verlust ihrer Ehre bedeutete. Der Tod war zu endgültig. Sie würde leben, bis ... Sie würde überleben.
»Komm«, sagte Einar. »Wir haben nur noch sehr wenig Zeit.«
»Ich komme«, sagte Mirana und folgte ihm.
Kapitel 29
Er war gebrechlich, die Haut hing ihm schlaff von seinen Wangen und Armen, doch seine Augen glühten vor Erregung. Im fahlen Licht des Langhauses schimmerten seine wäßrigen Augen beinahe schwarz.
Er lächelte auf sie herab und streckte die Hand nach ihr aus. Sein Handrücken war mit Altersflecken übersät, und an den mageren Knöcheln wuchsen weiße Haarbüschel.
»Mirana, Tochter von Audun«, sagte er und drückte ihre Hand. Die Kälte ihrer Finger wertete er als Aufregung des jungen Mädchens ob der Ehre, die er, der König, ihr erwies. »Ich werde dich heiraten, du wirst meine Königin und Mutter meiner Söhne sein. Hört alle, was ich zu sagen habe. Vom heutigen Tage ist sie Königin Mirana, und alle meine Untertanen schulden meiner Gemahlin Gehorsam und Ehrerbietung.« Die Stimme des alten Mannes drang zittrig durch das rauchgeschwängerte Langhaus.
Sie wandte den Blick und sah in die schwarzen Augen seines Ratgebers Hormuze. Der Greis, den etwas Geheimnisvolles umgab, flößte ihr Angst ein. Er lächelte, und seine Zähne waren weiß und gesund. Als ahne er ihre Fragen, senkte er den Kopf und faltete die Hände über dem Bauch.
»Sag, daß du mich zu deinem Gemahl nimmst, Mirana.«
Die Stimme des Königs war leise, duldete jedoch keinen Widerspruch. Niemand würde sich ihm widersetzen, niemand. Auch sie nicht.
Zum zweiten Mal in ihrem Leben legte Mirana mit leiser, fester Stimme den Treueschwur ab: »Ich nehme Euch, König Sitric, zum Gemahl und verspreche, Euch zu lieben und zu ehren. Ich bin Eure Königin und werde die Mutter Eurer Söhne sein. Das schwöre ich, Mirana, Tochter von Audun, vor all unseren Göttern und unseren Untertanen.«
Er beugte sich über sie und küßte sie auf den Mund. Seine Lippen waren kalt und spröde. Sein heißer Atem roch säuerlich und schal. Sie ließ die Liebkosung stumm und gefügig über sich ergehen. Ihre Unterwürfigkeit schien ihm zu gefallen.
An Ihrer Schläfe flüsterte er: »Du bist scheu, das gefällt mir. Du bist unberührt, du weißt nichts von Männern und nichts von ihren Begierden. Ich werde dich unterweisen, Mirana, und dann wirst du mir Wollust bereiten, und die Welt wird wissen, daß es dir gelungen ist, denn dein Leib wird bald meinen Sohn tragen. Das hat Hormuze versprochen. Und wenn du morgen früh erwachst, wird nicht dieser Greis neben dir liegen, sondern ein kraftvoller, junger Mann. Ich werde mich in den jungen Mann
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