Der Herr der Habichts - Insel
stellen. Mirana war glücklich. Sie sah Utta am Rande des Kreises stehen und näherte sich ihr. »Ich danke dir, Kleine. Ich koche beinahe so gut wie du.« Und Utta schlang ihre Arme um sie. »Utta, wir beide werden gut miteinander auskommen. Zweifle nie an meiner Zuneigung. Willst du meine Schwester oder meine Tochter sein?«
Alle Frauen lachten.
Und dann trat Erna, die sich wie üblich im Hintergrund gehalten hatte, zögernd vor. »Utta soll deine Schwester sein, finde ich«, sagte sie lächelnd. »Niemand würde in dir ihre Mutter sehen.«
In jener Nacht schlief Mirana in Roriks Bett. Er nächtigte in der Halle, in eine Wolldecke gehüllt. Die Kette lag immer noch neben dem Bettpfosten auf dem Fußboden. Sie hatte sie nicht angefaßt.
Sie lächelte und fühlte tief in ihrem Innern, daß sie das Richtige tat.
Kapitel 15
Der nächste Tag war warm und sonnig. Über der Insel schwebten so viele kreischende Vögel, wie Mirana sie in solcher Fülle noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Sie stürzten sich mit angelegten Schwingen in die Tiefe, breiteten dann die Flügel wieder aus und ließen sich im Aufwind hochtragen.
Es war ein wunderschöner Tag, um Hochzeit zu feiern.
Mirana stand mit Rorik unter einem süß duftenden Apfelbaum. Das Paar hielt einander an der Hand.
Roriks Gefolgsleute flankierten ihn, und Hafter stand zu seiner rechten Seite. Die Frauen, angeführt von der
Alten Alna, standen seitlich hinter Mirana, Entti zu ihrer Rechten.
Die Frauen hatten ein kleines Wunder vollbracht. Nachdem sie Mirana am Abend zuvor zu Bett gebracht hatten, hatten sie unverzüglich mit den Vorbereitungen angefangen.
Mirana trug ein safranfarbenes Wollgewand und darüber einen eierschalenfarbenen Umhang, der an den Schultern mit zwei kunstvoll gehämmerten Silberspangen, einem Geschenk von Rorik, zusammengehalten wurde. Dazu trug sie weiche Lederschuhe, die ihr Erna geschenkt hatte. »Ich habe nur eine gesunde Hand, aber zwei gesunde Füße. Die Schuhe müßten dir genau passen«, hatte sie leise gesagt.
Miranas Haar war zu lockeren Zöpfen geflochten und mit safranfarbenen Leinenbändern hochgesteckt.
Sie war ganz ruhig. Ihre Entscheidung war richtig. Selbst wenn Rorik sie heiratete, um seine Rachepläne gegen Einar zu verwirklichen, war ihr das einerlei. Sie glaubte an seine Ehrenhaftigkeit. Mit diesem Gedanken blickte sie Rorik an, der jetzt mit tiefer, fester Stimme sprach: »Ich nehme dich, Mirana, Tochter von Audun, zur Frau. Ich gebe dir alles, was mir gehört, und verspreche, dich bis zu meinem Tod zu ehren, zu lieben und dir treu zu sein. Dies schwöre ich vor unseren Göttern und unserem Volk.«
Einige Männer brachen in Hochrufe aus und klatschten ihm auf die Schulter, doch die meisten blieben stumm und hielten den Blick unsicher und argwöhnisch zu Boden gesenkt. Als es still geworden war, wandten sich die Blicke aller Mirana zu.
»Mein Herr Rorik«, sprach sie und lächelte über sein allzu ernstes Gesicht. Die Worte, die sie nun sprechen würde, waren für ihn und seine Gefolgsleute von großer Bedeutung. Ihre Hand legte sich fester um seine. »Ich komme mit leeren Händen zu dir. Ich gelobe dir und deinem Volk die Treue, so lange ich lebe. Ich gelobe, dein Wohlergehen vor mein eigenes zu setzen, dich als meinen Gemahl und Herrn der Habichtsinsel zu achten. Deine Belange stehen vor meinen. Ich werde dir immer treu sein. Dies gelobe ich vor unseren Göttern und vor allen, die hier mit uns versammelt sind.«
Nun stimmten die Frauen wesentlich lauter als die Männer Hochrufe an, und anhaltender Jubel erscholl über die Insel. Vögel flogen in Scharen auf, und ihr gellendes Kreischen mischte sich in die Jubelrufe. Kerzog umsprang das Brautpaar mit lautem Gebell und leckte Miranas Füße. Die Frauen streichelten und tätschelten ihr Schultern und Rücken.
»Ich danke dir, Mirana«, sagte Rorik und blickte in die Runde seiner Männer.
Dann hob er die Hand der Braut und streifte ihr einen schmalen Goldreif über den Mittelfinger. Ob er seiner ersten Frau gehört hatte? Sie machte eine Faust und streckte den Arm hoch in den blauen Himmel, eine symbolische Geste ihres Einverständnisses und ihrer Verpflichtung an die Verbindung mit Rorik.
Wieder erscholl Jubel. Auch diesmal schrien sich die Frauen die Lungen aus der Brust, um das Zaudern der Männer wettzumachen. Mirana spürte, wie sie auf Roriks Männer, die mit seiner Entscheidung nicht einverstanden waren und sie nach wie vor als eine Frau
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