Der Herr der Unruhe
Innenhof. Unten brannte jetzt Licht. Fünf oder sechs Männer richteten ihre Maschinenpistolen auf ihn. Schnell zog er den Kopf zurück. Nun gab es nur noch eine Möglichkeit.
Die Tür des Arbeitszimmers flog auf, und Massimiliano Manzini stürzte auf die Galerie. Von den Treppen kam ihm eine Hand voll Männer der Banda Koch entgegen.
»Haben Sie ihn?«, blaffte der Hausherr.
Hauptmann Zolfo krauste die Stirn »Ich dachte, Sie …«
»Unsinn!«, fiel ihm Manzini harsch ins Wort. »Wenn er nicht über oder unter uns ist, dann muss er noch auf diesem Stockwerk sein. Rufen Sie Verstärkung und durchsuchen Sie alle Zimmer.«
Zolfo bellte einige Befehle in den Lichthof hinab, danach schickte er vier seiner Männer paarweise zum Nord- und Ostflügel der Galerie.
Manzini wollte nicht warten, bis die anderen eingetroffen waren, sondern stampfte zur nächstgelegenen Tür, die zw i schen seinem Büro und der Treppe lag. Sie führte in einen kleinen Bankettsaal.
Die Flurbeleuchtung warf einen gelben Lichtkeil mit der Silhouette eines massigen Körpers in den Raum. Manzini betätigte den Schalter neben der Tür, aber es blieb dunkel. Der Hausherr lauschte. Von irgendwo hörte er ein leises Brummen. Sein Blick wanderte über die im Zwielicht li e genden Wände und Möbel. Plötzlich verharrte er bei einem roten Schimmer.
Schnell kehrte er in den Wandelgang zurück und schrie: »Hierher! Er ist im Essensaufzug.«
Eine Sardine, die in der Büchse steckt, ist wenigstens schon tot. Wirklich tröstlich war dieser Gedanke für Nico nicht. Wie ein Zirkusartist zusammengefaltet, die Knie fast an den Ohren, glitt er langsam in die Tiefe. Zum ersten Mal schät z te er seine Schmächtigkeit.
»Beeil dich!«, drängte er den Lift, der sonst nur Wachteln oder Wildschweinbraten transportierte. Tatsächlich legte der Hebemechanismus noch etwas zu. Von oben vernahm Nico dumpfe Rufe. Hatte man ihn schon entdeckt? Er en t sann sich der Stimmen von Uberto und Viola, die er zuvor im Erdgeschoss gehört hatte. Hoffentlich waren die beiden nicht in der Küche. Dort würde seine Talfahrt nämlich e n den.
Plötzlich blieb der Fahrstuhl stehen.
Nico stockte der Atem. Was jetzt? Um ihn herum schi e nen sich die Wände des Kastens zusammenzuziehen. U n vermittelt ruckte der Speiselift wieder an.
Nach oben!
»Nein!«, jammerte Nico. »Tu mir das nicht an.«
Er drehte die Handflächen nach außen, legte sie an die Aluminiumverkleidung und schloss die Augen. Ich habe dich einmal aus dem kalten Schlaf des Harrens wachgerü t telt, sprach er in Gedanken die Worte, die keine Schrift der Welt festzuhalten vermag. jetzt zahle die Schuld zurück!
Wieder stockte der Aufzug.
Bitte!
Der Lift sank erneut in die Tiefe.
Über sich hörte Nico einmal mehr das aufgeregte Rufen. Hatte man die Verweigerung des Hebewerkes bereits b e merkt, oder wunderte man sich nur, warum die Kabine i m mer noch nicht oben angelangt war?
Endlich erreichte der Fahrstuhl das unterste Geschoss.
Nico klappte die zwei Türflügel auf und schälte sich aus dem Aufzug. Als er sich zur Küche hin umdrehte, stand Viola vor ihm, das braunhaarige, dünne Küchenmädchen, von dem Uberto einmal behauptet hatte, es sei so hässlich, dass sein Anblick frisch gemolkene Milch stocken ließe. Viola trug ein schwarzes Kleid, eine weiße Haube und Schürze sowie einen überraschten Ausdruck auf dem G e sicht. Ihre Augen und ihr Mund waren weit aufgerissen.
Nico lächelte sie an. »Don Massimiliano möchte aus dem Keller noch eine Flasche Trebbiano di Nettuno. Könntest du … Ach, ich hole sie am besten gleich selbst.«
Er lief zur Tür und streckte den Kopf hinaus. Zwischen ihm und der Kellertreppe gab es nichts als Leere. Dank Manzinis Befehl waren alle Einheiten nach oben verlegt worden. Nico drehte sich noch einmal zu Viola um, die ihn immer noch wie ein Gespenst anstarrte, legte sich den Ze i gefinger auf die Lippen und entschwand nach draußen.
Die Hand klatschte in den Stiernacken. Ein leiser Fluch. Gleich darauf schickte Massimiliano Manzini ein stilles Stoßgebet zum Himmel. O Herr, lass den erschlagenen Moskito nicht mit Malaria verseucht sein! Sein schwerer, von einem hellen Strohhut beschirmter Kopf schaukelte auf dem Rücksitz des offenen Kübelwagens hin und her. Ihm war schlecht, seine Laune tendierte gegen null, aber als Initiator dieser Aktion wollte er sich keine Blöße geben. Er nötigte sich ein Lächeln ab und knurrte, ganz den harten Tropenkämpfer
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