Der Herr der zerstörten Seelen
dann, noch immer im Kampf mit dem Steuerrad, noch immer beim Versuch, ein weiteres Ausbrechen des schlitternden Wagens zu verhindern, sah Professor Jan Schneider noch etwas, sah einen schwarzen Gegenstand, dachte zuerst, es wäre der Auspuffstutzen, nein, die Auspuffhalterung. Er dachte es noch, während das schwarze Ding weiterkreiselte, direkt auf den grauen VW zu.
Dann sah er nichts mehr. Nichts als Licht, einen harten, gemeinen Kern von Licht, Zentrum eines rot-schwarzen Feuerballs.
Die Druckwelle kam, als Jan nach rechts steuerte, um den Porsche abzufangen. Auch dies hatte keine Bedeutung mehr. Die Räder des ›111‹ hatten bereits jede Haftung verloren. Die Druckwelle war wie eine riesige unsichtbare Faust. Sie hob den schwarzen Wagen hoch und warf ihn über die Böschung …
Nichts, das dort draußen noch existierte, nichts als tobendes Weiß … Die Welt war erloschen.
Die einzige Wirklichkeit blieb für Robert Tennhaff der künstliche Horizont, die Höhenanzeige und die Instrumente. Er hatte jede Orientierung verloren, zugleich auch den Sinn für Gleichgewicht, Balance und Fluglage. Es gibt kein empfindlicheres Fluggerät als den Helikopter, er muß ständig gesteuert und unter Antrieb gehalten werden, kennt keine Stabilität. Es ist unglaublich schwer zu fliegen, so ein Ding, ist nur an seinem verdammten Luftquirl aufgehängt und jederzeit bereit, sich um sich selbst zu drehen, nach vorne oder nach hinten zu kippen …
Und dort draußen eine Hölle aus schierem Weiß!
Tennhaff warf einen Blick zu dem Mädchen an seiner Seite. Aus der Kapuze, die Kati noch immer nicht abgenommen hatte, ragte eine Nasenspitze.
Nun drehte Kati den Kopf. »Wo fliegen wir hin, Robert?«
Das war die Preisfrage. Wenn er es wüßte …
Das einzige, was klar war: Sie gurkten inzwischen in einer Höhe von dreitausend Metern herum, hoch genug also, um nicht gerade an der nächsten Bergwand zu zerschellen. Doch ob das noch immer die ›Torre‹-Gegend war, ob sie sich dem See näherten oder weiter ins Innere, in Richtung Turin flogen, wer konnte das sagen?
Irgendein Kerl vor irgendeinem Radarschirm vielleicht, dachte Tennhaff. Und wenn er mit dir Kontakt aufnehmen könnte, wird er nie glauben, daß er es mit einem Hubschrauber zu tun hat. Kein ›Heli‹ steigt bei solchem Wetter auf … Und wenn er sich trotzdem womöglich noch die Mühe machen würde, irgendeine Kurshilfe durchzugeben, müßte er, Robert, sich bedanken und ihm mitteilen, daß in diesem Fall alle Liebesmühe leider umsonst gewesen sei. Mille grazie , amico ! Arrivederci … Der Sprit geht aus!
Wieder richtete er den Blick auf die Treibstoffanzeige. Es kostete ihm jedesmal mehr Überwindung. Seit Rocca wie ein wildgewordener Bulle aus dem Jeep gesprungen war und Tennhaff gerade noch rechtzeitig abgehoben hatte, war der weiße Zeiger von vierzehn auf zwei Komma fünf gesackt. Das bedeutete den Verlust von zwölfhundertfünfzig Litern Kerosin. Robert konnte sich ausrechnen, wie lange sie sich noch in der Luft hielten. Er wollte es zwar nicht, aber er mußte. Vor allem mußte er eines: Mit Kati reden.
Er tippte ihr auf die Schultern. Ihr Kopf fuhr herum, und da waren ihre Augen, weit und forschend, doch etwas wie Panik sah Robert nicht darin. »Kati! Es ging doch nicht ganz so schön, wie ich es mir vorgestellt habe.«
»Warum?«
Er deutete auf den kleinen schwarzen Kreis mit dem weißen Zeiger, der längst in die bösartig glimmende rote Zone eingetaucht war.
»Vorhin«, sagte Tennhaff, »da müssen die uns den Tank oder eine Brennstoffleitung angeschossen haben.«
Sie sah ihn noch immer an. »Und jetzt?«
»Ich denke, wir haben noch sechs oder sieben Minuten Zeit, uns in der Luft zu halten. Dann aber …« Sie sah ihn weiter an, unverwandt. Und er blickte zurück. Es war ein Blick, den er nie in seinem Leben erlebt hatte, ein Blick von solcher Eindringlichkeit, daß er schmerzte, und gleichzeitig war er voller Vertrauen.
»Hast du Angst?« fragte Kati.
Was für eine Frage, dachte er.
»Du mußt keine Angst haben!« Sie mußte rufen, damit er sie verstand, aber ihre Stimme blieb ruhig. »Eines habe ich gelernt, Tennhaff: Was geschieht, muß geschehen … Und so ist es auch gut …«
Es war ein Satz, den man bewundern konnte, aber Robert hatte jetzt keine Lust, sich GW-Weisheiten anzuhören. Auch nicht von ihr.
Aber dann tat sie noch etwas. Sie griff nach Roberts Hand, beugte sich über sie und küßte sie. Draußen der Schnee, ihr Kopf über
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