Der Herr der zerstörten Seelen
seiner Hand … In dieser Sekunde wußte Robert, sie würden hier rauskommen, koste es, was es wolle …
»Kati, wenn es zu Bodenberührung kommt …«
»Ja, ja!« schrie sie. »Beine anziehen, Brille und Gebiß abnehmen … Tennhaff, in meiner Bude gab's eine Landkarte. Ich hab' sie mitgenommen, als du mir sagtest, was du vorhast. Und ich weiß, die hohen, die schlimmen Berge stehen nur um ›La Torre‹. Nach Süden wie nach Westen wird das Land flacher. Und auf der anderen Seite gibt's den See …«
Er sah sie nur an. Sie nickte. »Ich weiß schon, schlimm ist's überall …«
Er mußte ihr die Hand entziehen, um auch noch den kleinsten Impuls aufzunehmen, den ihm die Maschine zusandte.
»Guck raus! Wenn du irgend etwas siehst …«
Und so starrten sie mit schmerzenden Augen. Doch draußen war es noch immer dasselbe: tanzender, wahnsinniger Schnee.
Wieder griff Tennhaff zum Gemischregler. Nun komm schon!
Vielleicht läßt sich so noch ein bißchen Leistung herauskitzeln … Die Turbine lief rund, verstummte, die Maschine sackte – da kam die Turbine wieder …
Aus den Augenwinkeln beobachtete er Kati. Sie saß steil und aufrecht im Sitz. Hast du Angst, Tennhaff? Ja. Herrgott noch mal. Und sie?
Robert stieß sie mit dem Ellbogen an. Er hatte keine Hand frei, um ihr den Kopf auf die Knie zu zwingen. Sie begriff und machte es von selbst. Auch die Turbine schien es sich inzwischen zu überlegen, oder sie hatte seine Gebete erhört. Wenigstens lief sie für die nächsten Herzschläge wieder völlig normal. Aber gleich würde sie völlig aussetzen. Und es gab auch keine Zeit mehr, am künstlichen Horizont zu korrigieren oder auch nur zu prüfen, ob der verdammte Schneebesen seine Nase hochnahm, und das mußte er! Herrgott, das wird er doch! Weiß und blind, dachte Robert.
Oder dort? Etwas Dunkles …
Laß es keine Wand sein, Herrgott! Nicht irgendein beschissener Berggipfel oder -rücken mit riesigen Granitbrocken! Laß es etwas Vernünftiges sein … Das war es auch. Es waren Baumwipfel, Kiefernwipfel …
Nie in seinem Leben war Robert Tennhaff ein Anblick so süß erschienen wie diese kleinen pyramidenförmigen Gebilde. Nach dem Winkel, in dem er auf sie blickte, und dem Winkel, in dem sie hochwuchsen, würden sie mit dem Heck auftreffen. Und das mitten in einer Kiefernschonung!
Zündung aus! Nur noch ein Geräusch herrschte für die nächste Sekunde: das Pfeifen verdrängte Luft. Dann ein nicht enden wollendes Kratzen, Metallgeklirr, das Ächzen gequetschten Aluminiums, ein Krach, ein zweiter … Die Plexiglasverkleidung flog weg, Kälte drang herein, ein Schlag wie mit einem gewaltigen Hammer – und dann nichts mehr …
Do Folkert schlug die Augen auf und blickte in angenehm verfließendes, mildes Licht. Es war wie Sonne hinter Wolken, und gleich würde die Sonne sie wärmen, und sie würde aus ihrer Sandkuhle herauskrabbeln und durch den Strandhafer ans Meer hinunterlaufen …
Aber da war kein Strandhafer, da waren auch keine Dünen, da waren nur blitzende Kacheln und ein weiß emaillierter Stahlrahmen, in dem sich Stoff spannte. Und davor war ein Gesicht: Jans Gesicht! Es schien vertraut und doch reichlich sonderbar, denn der rechte Teil des Schnurrbarts war unter einem Pflaster verschwunden, das sich über die ganze rechte Wange zog, und an der linken Schläfe war ein zweites Pflaster zu bestaunen.
»Na?« hörte Do. Und sie bekam auch noch den Satz geliefert, den sie stets am meisten gehaßt hatte. »Na, meine Kleine, wie steht's denn so mit uns?«
Ja, wie? Die Erinnerung regte sich, wenn auch mit Mühe, denn sie lieferte nur in Raten. Doch dann fügte sich alles, wie von einem Zauberstab berührt, blitzschnell zu einem einzigen Bild zusammen. Do wollte sich aufrichten. Das ging zwar, aber es tat weh.
»Oh«, flüsterte sie. »Da haben wir anscheinend noch Glück …«
Sie kam nicht weiter, denn nun war auch noch ein zweites Gesicht erschienen: ohne Pflaster, aber nicht weniger zerknautscht. Zusätzlich zu seinem Bart hatte sich Tommi Reinecke inzwischen einen Pelz häßlicher braun-weißer Stoppeln zugelegt.
»Du siehst ja furchtbar aus«, flüsterte Do.
Tommi grinste friedfertig. »So schön bist du auch nicht.«
»Und was ist sonst mit mir?«
»Was schon?« sagte Jan. »Die haben dir in Narkose das Schultergelenk eingerenkt. Die Narkose fand ich ja nun reichlich übertrieben …«
»Wieso läßt du es dann zu? Ich denke, du bist Professor und so was wie ein Chef hier.«
»Es ist
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