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Der Herr der zerstörten Seelen

Der Herr der zerstörten Seelen

Titel: Der Herr der zerstörten Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ohne Bedeutung waren, Schleier, durch die er jederzeit hindurchzusehen vermochte.
    Und trotzdem …
    Legrand ging jetzt langsamer. Es waren nur noch dreißig Meter zu der schmalen hohen Metalltür, die die ›Goldpforte‹ genannt wurde und die nicht wie der Haupteingang ins Zentrum der Berganlage ›La Cathédrale‹ führte, sondern in das Labyrinth von Neben-, Schutz- und Service-Einrichtungen, das die Granitfelsen durchzog.
    Legrand massierte sich die Schläfe, eine rein mechanische Geste, die Antwort auf den dumpfen Gegendruck, den er hinter den Augen verspürte. Noch schwieg der Stahlhammer in seinem Hirn, und Paul war dankbar dafür, denn was er jetzt brauchte, war Kraft. Wenn er sie jemals in seinem Leben gebraucht hatte, dann heute, jetzt …
    Ein Fanal setzen?
    Legrand dachte nach. Nochmals: Wußte Arjun von der Gefahr, die der GW drohte! Wußte er von dem Plan B? Wußte er sogar von der ›Lösung Schönberg‹, die er, Legrand, gestern mit Ted ausgearbeitet hatte? Hatte es ein Leck gegeben, irgendeinen miesen, schäbigen Verrat?
    Nichts als Probleme. Und Probleme hatte Arjun schon immer gewittert. Vielleicht war er sich sogar darüber klargeworden, daß er selbst, Arjun, das größte Problem zu werden begann … Nicht nur die ›Lösung Schönberg‹, auch die ›Lösung Cedar-City‹ war notwendig. So ungeheuerlich der Gedanke auch sein mochte, ja schlimm und fast undenkbar in seinen Folgen, so erregend war er gleichzeitig.
    Legrand ging keinen Schritt weiter. Er drehte sich nach links, blickte über das Tal, blickte hinauf zu diesen eisigen, endlosen Sternen, fischte in den Taschen seiner Pelzjacke nach den Tabletten, öffnete die kleine goldene Dose und nahm gleich drei zwischen die Fingerspitzen. Er legte sie auf die Zunge und schloß die Augen, wartete, bis es sich einstellte, das Gefühl zu fliegen, eine glückliche Schwerelosigkeit. Und dieses Mal war noch etwas anderes dabei: Glück – ein Kontinent von Glück, ein Strom von Kraft, der ihn weitertragen würde. Heraustreten aus Arjuns Schatten! Frei sein, endlich und vollständig er selbst sein …
    Der Tod ein Samenkorn?
    Jede Idee, jede Kirche vor allem braucht ihre Märtyrer. Die Menschen brauchen sie, denn Märtyrer waren und sind die Leuchtzeichen, die die Menschheit durch das ewige Jammertal, durch die Dunkelheit ihrer Geschichte führen.
    Vielleicht wollte Arjun es selbst? Vielleicht wußte er längst von seiner Bestimmung?
    Wie auch immer: In Cedar-City war alles vorbereitet. Ted hatte es organisiert. Und die Flammen, die Schönberg vernichteten, würden mehr als ein Auftakt sein. Sie würden die Blicke der Welt auf Deutschland richten, dann auf ihn, Paul Legrand, und schließlich auf Arjun, den Toten, den Märtyrer, den Heiligen …
    Er selbst aber, er allein war der Vermittler der Wahrheit. Ein Arjun konnte nie mehr sein als das, was er immer gewesen war: ein Instrument. Gewiß, man kann sich sagen, ein Instrument der Wahrheit und damit des göttlichen Willens – aber eben doch nur eine Funktion …
    Paul Legrand hatte den Knopf betätigt, der den zentnerschweren Stahl der Tür bewegte.
    Er betrat das Innere des Berges, lauschte in sich hinein, wie stets auf der Lauer nach den eigenen Gefühlen. Sein Herz klopfte ein wenig. Es war das sechste Mal, daß er hier stand, seit er die Kathedrale entworfen hatte. Dieses Mal hatte er sich ausgebeten, allein zu sein, ganz allein, wie es die Stunde, sein Herz, aber auch das Gesetz befahl. Sanftes Licht empfing ihn. Sanftes Licht, sanfte Farben, erhebende Bilder, ein ganzer, fließender Zyklus, ein Garten Eden …
    So wie die Kathedrale und das ganze sich anschließende Labyrinth im Inneren des Berges war Legrand auch dieser Raum in seinen Visionen erschienen. Er hatte ihm den Namen ›Aula‹ gegeben, denn hier würden die Seelen eingestimmt. Ein subtiles Geschäft, angewandte Psychologie. Und diese Aula war so vollkommen gestaltet, daß sich das Herz unwillkürlich weitete, dem Ziel entgegen: ein schimmerndes, ovales Kleinod, die Wände aus Mosaik, Bäume, Tiere, Pflanzen darstellend, heitere Landschaften, schöne Menschen, schöne Frauen vor allem – Jungfrauen.
    Ja, Jungfrauen. Die Ring-Weihe morgen, sie würde hier stattfinden …
    Und vielleicht, dachte Legrand, als er langsam zu der zweiflügligen goldschimmernden Tür ging, die die Aula mit der Kathedrale verband, die letzte.
    Wieder glitten Türen auseinander.
    Und nun mußte er den Kopf in den Nacken legen, um das Farbwunder der

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