Der Herzberuehrer
dazu in der Lage, weiterzumachen. Jemand musste jetzt bei Sandra sein, sie nach Busalla bringen, zu Orlando. Jemand musste sich um sie kümmern, sie trösten, ihre Hand halten, beruhigende Worte finden. Und da kam eigentlich nur Pia in Frage. Die beiden Frauen waren in den letzten Monaten einander nahe gekommen, eine Tatsache, die jetzt sehr helfen konnte.
Blieb also noch Chip.
Na, und Shiro und ich natürlich...
Ja, und dann geschah das, was ich niemals je für möglich gehalten hätte.
Matteo war es, der den Anstoß gab. Er hatte mitbekommen, was geschehen war und er hatte eine Idee. Mein alter, unglaublicher Großvater. Eigentlich war es nur ein einzelner kleiner Satz, hervorgebracht durch seine selten benutzte, raue Stimme, aber der hatte es in sich.
Denn er sagte einfach nur: »...Dann kochen eben die Lauros. Schließlich heißt der Laden ja fast auch so.«
Und so kochten eben die Lauros.
·
Es war unglaublich.
Mein Vater, Rosalia, Gino, Pietro, mein Großvater und ich mit Shiro, in meiner Küche. Selbst Tomaso hatte sich angeboten, aber Giades Zustand lieferte die perfekte Ausrede, um das zu verhindern. Außerdem waren wir eh überbesetzt.
Die Zeit war um dreieinhalb Jahre zurückgedreht, und es war wie Fahrradfahren. Es funktionierte von der ersten Minute an.
Zumindest der professionelle Teil.
Chip organisierte frische Kochjacken und Hosen, ich zeigte ihnen in groben Zügen die Küche, wir besprachen kurz das Menü, dann ging es auch schon los. Und nun bewährte sich die sorgfältige Vorbereitung von Sandra und Orlando, denn im Grunde gab es nur einige wenige Dinge, die noch zubereitet werden mussten. Ich übernahm den frisch gelieferten Hecht, obwohl eigentlich mein Vater als der Experte für Fischgerichte galt. Es war nur so: Er kam vom Meer, unser Hecht jedoch aus einem See. Das magere Fleisch des Fisches musste mit diesem Wissen zubereitet werden, da es schnell zu trocken geriet. Außerdem wies der Hecht im Vergleich zu den meisten anderen Fischarten spezielle Gräten auf, was man beim Filetieren berücksichtigen musste; alles Dinge, mit denen Antonio bislang überhaupt nicht oder nur sehr selten in Berührung gekommen war. Na, und dann war ich mit dem Rezept für die Terrine einfach vertraut.
Viel entscheidender war jedoch, dass wir sein Roastbeef im Menü hatten, jenes mit der Thymiankruste. Was also lag näher, als ihm sein Beef zu überlassen.
»Für dieses Gericht hast du dich entschieden...?«, fragte er denn auch mit einiger Rührung in der Stimme.
»...Eigentlich Rebecca. Du weißt doch, dass sie es liebt...« Und um ihm nicht seine frisch aufgebaute Illusion zu nehmen, fügte ich noch hinzu: »...Aber ich habe es ihr vorgeschlagen...«.
Es war eine eigenartig hölzerne Situation, zumindest zu Beginn, und vor allem in jenem Moment, in dem sich Antonio und Shiro erstmals wieder gegenüberstanden.
Bei ihrer letzten Begegnung hatte mein Vater ihn übelst zusammengebrüllt und aus dem Haus geworfen. Er hatte ihn behandelt wie den letzten Dreck. Diese Tatsache stand immer noch zwischen ihnen ...
Über ein sprödes Einanderzunicken ging es denn auch nicht hinaus.
Also achtete ich darauf, dass weitere Berührungspunkte möglichst ausblieben, für mehr war einfach keine Zeit.
»Meinst du das hier kann gut gehen...?«, fragte Chip besorgt, nachdem sie mich kurz in die Speisekammer gezogen hatte, um das weitere Vorgehen für den Abend zu besprechen.
»Wir haben alle schon zusammen gekocht. Hunderte Male. Ich denke, ja! Das wird klappen...«
»Na, aber du - und dein Vater...«
»Willst du vielleicht den Part übernehmen? Das ist okay, wenn du das willst? Du bist der Boss!«
Nein, das wollte sie nicht. Und es wäre wahrscheinlich auch nicht gut gegangen. Ich war mit dem Menü vertraut und mit den Köchen. Darum war es so richtig, wie es jetzt war.
»Antonio weiß ganz genau, dass das nicht seine Küche ist...«, beruhigte ich sie. »...Und er weiß auch genau, was geht und was nicht. Außerdem stehen die anderen hinter mir, da bin ich sicher...«. Ich lächelte zuversichtlich in ihr besorgtes Gesicht. »Und du gehörst jetzt nicht hier her...«
Sie schloss kurz die Augen und nickte zaghaft.
»Es war schrecklich... wie er einfach zusammenbrach, Luca. Es hatte so etwas Endgültiges...«
Da ich das nicht miterlebt hatte, perlte dieses ganze Drama um Orlando einfach so von mir ab, doch jetzt, als ich Chip, die sonst so unbeugsame Chip, in diesem Zustand erlebte, machte es mir deutlich,
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