Der Hexer - NR08 - Im Bann des Puppenmachers
sinnliche Mund, der immer zu einem sanften, spöttischen Lächeln bereit zu sein schien, der freche schwarze Haarschopf, der sich jedem Versuch, ihn zu einer Frisur zu ordnen, widersetzte...
Nein – er kannte dieses Gesicht. Zu gut, um sich zu täuschen.
Seine Hände begannen zu zittern, und mit einem Male spannten sich seine Finger so fest um das Glas, daß das kleine Instrument hörbar knirschte.
»Ophelie!« flüsterte er. »Mein Gott!«
Der Mann zu seiner Rechten sah strafend auf, aber Howard merkte es nicht einmal. Sein Blick saugte sich an dem blassen Mädchengesicht fest, das in der Optik seines Glases erschienen war wie eine Vision aus einer längst vergangenen Zeit. Dann bewegte sich ein Schatten, ein Stück hinter und neben dem Antlitz Ophelies, und ein zweites Gesicht erschien im Sichtfeld des Glases. Das Gesicht eines schlanken, dunkelhaarigen Mannes mittleren Alters, beherrscht von einem Paar nachtschwarzer stechender Augen und einem sorgfältig ausrasierten Kinnbart.
Howard schrie auf. »Nein!« keuchte er. »Nicht... nicht das! So grausam können sie nicht sein!«
Aber dann bewegte sich der Mann, und als Howard seinem Blick begegnete, wußte er, daß sie es konnten.
Und plötzlich wußte er auch, warum er hier war.
Und wie seine Strafe aussehen würde.
Seine Hand schloß sich so fest um das Glas, daß die beiden Objektive klirrend zerbarsten.
* * *
Es mußte auf Mitternacht zugehen, als ich Paris erreichte. Die Straßen der Millionenstadt waren verlassen, und das Kopfsteinpflaster glänzte vor Nässe. Über dem Zentrum der Stadt, noch Meilen entfernt, schien eine pulsierende Glocke aus Licht zu schweben, und das Geräusch des klapperigen Fuhrwerkes, auf dem ich die letzten zwanzig Meilen zurückgelegt hatte, wurde von den Häusern rechts und links der Straße unheimlich verzerrt zurückgeworfen. Während der letzten zehn Minuten hatte sich der zweispännige Karren am Ufer der Seine entlanggequält, aber alles, was ich von diesem berühmten Fluß wahrgenommen hatte, war ein schwarzer Graben, der die Stadt in zwei Hälften zu teilen schien, und dann und wann ein leiser Geruch nach fauligem Wasser. Wie immer sich das Viertel von Paris nannte, in dem wir waren – es schien nicht unbedingt zu den vornehmsten Gegenden der Stadt zu gehören.
Das Fuhrwerk hielt mit einem letzten Schaukeln, und der Kutscher drehte sich zu mir herum. »Wir sind da, Monsieur«, sagt er. »Rue de la Provence.« Er nickte bekräftigend, deutete mit dem Stiel seiner Peitsche über den Fluß und fügte hinzu: »Ich hab’ extra einen Umweg gemacht, damit Sie nicht so weit laufen müssen. Ist keine so sichere Gegend hier. Vor allem nicht um diese Zeit. Sie brauchen nur noch über die Brücke zu gehen.«
Ich verstand den Wink, stieg umständlich von der Ladefläche des Gemüsekarrens herunter und zog meine Geldbörse aus der Rocktasche.
»Aber das ist doch nicht nötig, Monsieur – ich bitte Sie!« Der Mann begann abwehrend zu gestikulieren, schüttelte ein paarmal hintereinander den Kopf – und griff blitzschnell nach dem Fünfzig-Franc-Schein, den ich ihm hinhielt. Ich unterdrückte ein Grinsen, dankte ihm noch einmal für seine Hilfe und wandte mich um, um auf die Brücke zuzuhumpeln. Hinter mir verklang das Geräusch der Karrenräder auf dem Pflaster.
Von der Oberfläche der Seine schlug mir ein eisiger Hauch entgegen, als ich auf die Brücke hinaustrat, und die Dunkelheit schien intensiver zu werden, als sauge etwas über dem Fluß auch noch das bißchen Licht auf, das Mond und Sterne spendeten. Ich schauderte und sah mich hastig nach beiden Seiten um.
Aber die Straße war leer. Für einen ganz kurzen Moment glaubte ich einen Schatten zu erkennen, sehr weit entfernt und fast am Ende der Straße. Irgend etwas klirrte, ein Geräusch wie Stahl, der über harten Stein scharrt. Aber als ich genauer hinsah, war er verschwunden, und das Klirren von Metall wurde zum ärgerlichen Fauchen eines Katers, den ich in seinem nächtlichen Streifzug gestört hatte.
Ich schalt mich in Gedanken einen Narren, schlug den Jackenkragen hoch, denn die Luft war hier, direkt über dem Fluß, feucht und empfindlich kalt, und ging schneller weiter. Als ich das Hotel betrat, hatte ich den Schatten bereits wieder vergessen.
Das Haus war dunkel. Der Flur roch durchdringend nach kaltem Zigarrenrauch und Kohl, und irgendwo in den oberen Stockwerken plärrte ein Kind. Unschlüssig blieb ich stehen, sah mich nach so etwas wie einem Empfang
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