Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
Vom Netzwerk:
befand.
    »Ist wohl eine Frage der Definition«, sagte sie und studierte den Inhalt, bevor sie wieder zur Spüle ging und die Tüte im Mülleimer verschwinden ließ.
    »Ich kann Eier kochen, und im Schrank ist noch Knäckebrot. Glaube ich zumindest.« Dem Mann schien es nun doch etwas peinlich zu sein. Er hatte nur ein T-Shirt und Unterhosen an, ein Exemplar, das schon bessere Tage gesehen hatte. Sein Körper war nicht sportlich gebaut, aber schlank, von einer kleinen Rundung im Bereich des Bauches abgesehen. Sein Haar war noch dunkel, doch die grauen Strähnen machten sich in seiner halblangen Frisur schon überall bemerkbar. In ein paar Jahren würde er vermutlich komplett grauhaarig sein. Das Kinn war unrasiert, und die Stoppeln waren schon grenzwertig ein Bart.
    »Ich will hier auf der Stelle wieder weg.« Wütend drehte ich mich zu Arayan um. »Du hättest mir sagen können, dass du ihm einen Besuch abstatten willst, dann hätten wir uns das sparen können.«
    »Ich verstehe, dass es nicht leicht für dich ist«, antwortete Arayan. »Und dennoch bitte ich dich zu bleiben. Ich bin bei dir, du bist nicht allein.«
    »Doch, das bin ich. So einsam wie niemand auf der Erde. Und lieber das, als hier noch eine Sekunde länger zu bleiben!«

Es war ein Schock. Ein anderes Wort fiel mir nicht ein. Allein meinen Vater zu sehen, gealtert und mit Bart, doch so unverwechselbar mein Vater, reichte, um Herzklopfen bei mir auszulösen wie bei einem unglücklich verliebten Teenager. Woher kam dieses Gefühl? Ich hatte die Verbindung zu meinem Vater schon vor langer Zeit abgebrochen. Dieses Kapitel war abgehakt, warum reagierte ich dann so schnell wie der Blitz in dem Moment, als ich merkte, wo ich mich befand?
    Mir schossen böse Gedanken über Arayan durch den Kopf, der mich dorthin gebracht hatte. Gleichzeitig war ich wütend auf mich selbst, weil ich einfach die Kontrolle abgegeben hatte. Mir kam sogar in den Sinn, dass ich für die Situation völlig unpassend gekleidet war, bevor ich mich endlich fasste und diese dreckige Küche hinter mir ließ. Ich war erbost. Spürte ein Pochen in meinen Schläfen. Natürlich nur eine Illusion, denn mein Körper war ungefähr so lebendig wie der einer Stoffpuppe. Ich wollte nur noch weg, sofort, auf der Stelle, ohne Umweg. Weg von Arayan, der die Unverschämtheit besessen hatte, mich einer solch belastenden Situation auszusetzen, und weg von meinem Vater. Dem freiheitsliebenden Boheme, noch immer so attraktiv und charmant, dass es ihm gelang, Frauen zu umgarnen. Mir tat die Arme so leid, die nun da stand, seine Tassen abspülte und sich sein verantwortungsloses Achselzucken ansehen musste. Verlass’ ihn, wollte ich ihr zurufen, bevor sich die Szenerie in Luft auflöste. Aber was würde das bringen, meine Stimme konnte sowieso niemand hören.
    Als der Raum vor meinen Augen zerfiel und dann verschwand, beschloss ich, nach Hause zu gehen, ich wollte keine Sekunde mehr dort oben mit Arayan in diesem Vakuum zubringen. Seinen Vorlesungen über Vergebung und Versöhnung ausgesetzt. Stattdessen schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf mein Zuhause, auf unsere Wohnung, und als ich die Augen wieder aufschlug, war es Abend geworden. Doch längst hatte ich aufgehört, mich über all die Sprünge in Raum und Zeit zu wundern.
    Draußen war es dunkel, und es brannte weder in der Küche noch im Wohnzimmer Licht, aber ich sah, dass es im Flur hell war, und hörte Mikael dort hantieren. Er musste unterwegs gewesen sein, vielleicht war er einkaufen, doch nun war er zu Hause, und ich konnte aufatmen. Wir konnten den Abend gemeinsam verbringen. Genau das brauchte ich jetzt. Liebe, Wärme, Nähe. Vielleicht würde ich ihm sogar von meinem Vater erzählen. All die Themen, die ich verweigert hatte, als er mich darauf ansprach. Für mich waren sie überholt, längst erledigt. Ich hatte seine Fragen ignoriert. Heute Abend würde ich versuchen, darüber zu sprechen. Darüber, wie mein Vater eines Tages verschwand, wie sehr ich ihn vermisst habe und von der Wut, die nie ein Ventil gefunden hat. Wenn Mikael und ich eine ehrliche Beziehung führen wollten – und wenn er wirklich die Chance bekommen sollte, mich richtig kennenzulernen –, dann musste ich ihm gerade davon erzählen. Zwischen uns würde alles anders werden, das hatte ich mir geschworen. Da konnte ich solche Dinge nicht länger für mich behalten.
    Als ich in den Flur kam, fuhr ich zusammen. Mikael war gerade dabei, seine Mütze von der

Weitere Kostenlose Bücher