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Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
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finster. Arayan schwieg, und ich auch. Ich wollte nicht mit einer Traumfigur reden, wollte diese verrückte, absurde und abscheuliche Phantasie, in der ich gefangen war, nicht auch noch durch Ansprache Wirklichkeit werden lassen. Doch schließlich wurde das Schweigen so laut, dass ich wieder Gefahr lief, von meinen eigenen Gedanken überrollt zu werden, also begann ich widerwillig ein Gespräch.
    Arayan gab mir Antworten auf meine Fragen, allerdings klang das, was er sagte, meist wie Zitate aus einer alten Bibelübersetzung, und ich konnte es kaum ertragen. Seine hochtrabenden Worte regten mich auf. Vielleicht wollte er mich damit nur trösten, doch in mir riefen sie Wut und Frustration hervor, so dass unser Gespräch stockte. Am liebsten wäre ich fortgegangen, doch außerhalb seines Lichts war nichts als Dunkelheit. Voller Angst, mich noch mehr zu verlaufen, musste ich mich damit abfinden, in unserer wortlosen Zweisamkeit zu verharren. Das Schweigen war anders als alles, was ich bisher gekannt hatte. Wenn ich die Luft anhielt, hörte ich nicht einmal das Rauschen meines eigenen Blutes in den Ohren. Nirgendwo Alltagsgeräusche wie das Summen von Leuchtstoffröhren und Kühlschränken oder das Knacken von Heizkörpern. Nirgendwo Fenster, durch die der Verkehrslärm zu hören war, nirgendwo Wände, durch die die Stimmen anderer Menschen drangen.
    Es war ein Traum, und irgendwann würde ich aufwachen. Eine Nacht dauerte keine Ewigkeit und auch der unheimlichste Albtraum fand irgendwann sein Ende, versuchte ich mir einzureden, als die Panik wieder in mir hochstieg. Doch die Sonne ging nicht auf, und der Wecker klingelte nicht, als es Morgen wurde.
    Am Ende konnte ich einfach nicht mehr. Die furchtbare Erkenntnis darüber, wie einsam und gleichzeitig hilflos ich wirklich war, schnürte meinen Körper von unten nach oben ein. Sie wickelte sich doppelt um meinen Hals, kroch weiter in den Nacken und nach oben bis zu den Haarwurzeln. Meine Tränen kamen erst nur leicht tröpfelnd, fast so wie bei unserem defekten Wasserhahn zu Hause. In meiner Brust zuckte es sonderbar, und mein Hals wurde von unsichtbaren Tauen eingeschnürt. Die Luft, die ich einatmete, füllte meine Lungen nur kurz und stoßartig, und ich zwinkerte extra viel, um die Reizung in meinen Augen wegzuspülen, doch je mehr ich mich wehrte, desto heftiger wurde die Reaktion. Ich fand keine Notbremse, verstand sowieso das ganze System nicht, und schließlich schluchzte ich so heftig, dass mein Körper nur noch krampfte. Ich verlor die Kontrolle. Ich kippte um, lag nun da in Embryohaltung, rang um Atem, und da sah ich mich selbst. Wie ich dort oben auf der Klippe gestanden hatte, die Entscheidung bereits gefällt. Wie ein Soldat, im Begriff einen Befehl auszuführen, der völlig unvorstellbar ist, erlassen von einem General, der sich weit weg von den Schützengräben und dem Kugelhagel der Maschinengewehre befindet. Zweifeln, nachdenken, sich besinnen? Keine Chance. Alle anderen Möglichkeiten hatte ich ausgeschlossen. Nein, nicht wirklich ausgeschlossen. Es gab keine Alternativen. In meiner Welt, in diesem Moment, da war es so. Ich hatte keine Wahl. Ich hatte das Todesurteil, das ich über mich selbst gefällt hatte, verdient, und nun war es zu spät, um neu zu entscheiden. Wie weit ich mein Herz auch für tröstende Worte geöffnet hätte, es hätte keinen Unterschied gemacht. Ich hatte einen Schlussstrich gezogen. Der Fehler lag allein bei mir. Mikael würde mir nie verzeihen, dafür nicht. Ich hatte ihn zurückgelassen, allein, und die Erinnerung an mich würde von Trauer und Wut bestimmt sein. Oder Erleichterung? Dieser Gedanke schreckte mich – sofern das möglich war – weit mehr. Endlich war er frei. Ich hatte sein Gesicht vor Augen, wie er laut lachte und lächelte, ein paar Tanzbewegungen machte und zum Spaß eine alberne kleine Discopirouette drehte. Jetzt konnte er tun, was er wollte, niemand würde ihn mehr davon abhalten. Mich gab es nicht mehr, endlich konnte er sein Leben führen, wie er es wollte. Es versetzte mir einen tiefen Stich, dass die Worte des Engels, ich sei tot, sich für ihn wie eine Befreiung anfühlen mochten.
    Als mein Schluchzen am Ende nachließ, merkte ich, dass Arayan dicht bei mir war. Er strich mir über den Rücken und übers Haar. Seine Berührung war nicht physisch, doch von seiner Hand ging eine Wärme aus, die tief unter die Haut ging. Ganz, ganz leise sprach er Worte, die ich nicht verstehen konnte, und nach einer

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