Der Himmel ueber Dem Boesen
bekreuzigte sich.
«Da war noch das hier.» Gomer stieg aus dem Grab. Er hob die Lampe und öffnete seine andere Hand. «Hab’s ein bisschen abgewischt, Frau Pfarrer, damit Sie’s besser erkennen können.»
Sie sah einen Engel.
Einen Engel an einer Kette.
«Wenn er noch um ihrn Hals gewesen wär, hätt ich ihn da gelassen, klar, aber er hat einfach nur auf ihr draufgelegen. Als hätt ihn jemand auf die Leiche gelegt.»
Der Engel war nicht einmal daumengroß. Seine Flügel waren ausgebreitet und seine Hände über dem Bauch gefaltet, der leicht hervorstand, als sei der Engel schwanger. Es sah sogar ein bisschen aus wie ein Medaillon.
«’ne Vorstellung, was das is, Frau Pfarrer?»
Traurigkeit bohrte sich wie ein Messer in ihr Herz. «Könnte sein.»
«Wertvoll?»
«War es jedenfalls mal für jemanden», sagte Merrily.
Lol wäre am liebsten gestorben. Wie erstarrt stand er da, glaubte, das Fegefeuer vor sich zu haben, schaute auf das Publikum im Parkett und in den schwach beleuchteten Logen. Ein Beleuchter hatte das Licht wieder angeschaltet, weil er glaubte, Lol habe irgendein technisches Problem, und so waren nun einzelne Gesichter in der Menge zu erkennen.
Lol sah in einer der Logen Al und Sally Boswell, den Gitarrenbauer aus dem Zigeuneradel. Al, der Lol die Boswell gegeben hatte, war nach Hereford gekommen, um zum Zeugen ihres Missbrauchs zu werden.
Die Boswell stand hinter Lol auf ihrem Ständer. Er hatte die Washburn umgehängt, die ihm so steif und unhandlich wie ein Spaten erschien.
Er sah Alison Kinnersley, die Frau, mit der er damals nach Ledwardine gekommen war und die ihn für den Gutsherrn James Bull-Davies, sein Land und seine Pferde verlassen hatte. Auch James war da. Er trug eine Krawatte.
Lols Hände waren taub, während er in diese riesige, schweigende Höhle vor sich starrte, aus der all die Leute gespannt zurückstarrten.
Ziemlich weit vorn sah Lol Jane sitzen. Jane Watkins, die eines Tages in diesen vollgepfropften Andenkenladen gekommen war, als er für Lucy die Kasse übernommen hatte.
Welchen Song hatte er noch einmal als ersten spielen sollen? Die erwartungsvolle Stille hallte durch seinen Kopf. Wie lange stand er eigentlich schon so da? Wie lange würde es dauern, bis die ersten Rufe aus dem Publikum kamen? Wie lange würde es dauern, bevor irgendwer den Vorhang wieder zuzog? Was sollte er bloß
machen
?
Genau ihm gegenüber befand sich die verglaste Kabine mit dem Mischpult, an dem Prof Levin saß. Und nun stand Prof auf und bedeckte theatralisch das Gesicht mit den Händen, als hätte er eine griechische Tragödie vor sich.
Dann sah Lol weit hinten links Eirion. Er war der Einzige, der ihn nicht anstarrte, weil Eirion nämlich Jane ansah, die wiederum ihren Blick auf Lol gerichtet hielt, die Hände ineinander verschlungen, mit beklommener Miene.
Auf einmal hatte Lol ein merkwürdiges Prickeln in den Augen. Er hatte den Boswells nichts von dem Auftritt erzählt, das hätte er nie gewagt – also mussten sie es von Prof gehört haben. Aber wer hatte es Alison und Bull-Davies erzählt? Und dort … wer konnte
Sophie Hill
von dem Konzert erzählt haben, die mit einem Mann, vermutlich ihrem Ehemann, ganz hinten saß? Bestimmt, damit sie unauffällig gehen konnten, falls es zu schrecklich wurde.
«Hey, Mann, wo warst du so lange?» Eine einzelne Männerstimme aus der dritten Reihe.
Nervöses Lachen von irgendwo. Der Schweiß auf Lols Handflächen fühlte sich an wie kalter Honig.
Er flüsterte ins Mikrophon. «Weg.»
Das Flüstern war so knackig wie ein Eisbergsalat und unheimlich volltönend. Die Sound-Systems hatten sich in all den Jahren wirklich unglaublich verbessert.
«Und wann willst du wiederkommen?», rief der Typ aus der dritten Reihe.
«Na ja», sagte Lol. «Das hängt davon ab …»
… dass mir einfällt, welchen Song ich zuerst spielen sollte.
Und dann auf einmal fing er an. Seine Finger fanden den Akkord, und ins Mikrophon sprach er:
Auf der Station ist Dienstag,
der Tag, den ich immer gehasst hab.
Und er musste gesungen haben, denn die Lichter gingen aus, und Applaus brandete auf.
Das letzte Gesicht, das Lol sah, bevor der gesamte Zuschauerraumin Dunkel getaucht wurde, war das von Jane. Sie hatte sich auf ihrem Platz zurückgelehnt, und er konnte beinahe den erleichterten Seufzer hören, den sie ausstieß, als er den Song brachte.
Den Song brachte!
Er beugte sich über die Gitarre, als er den Refrain sang.
Einer von uns ist dran,
Dr.
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