Der Himmel über der Heide (German Edition)
mir auch nur zuzuhören, habe ich den Rat deiner Schwiegertochter befolgt und dir diesen Brief geschrieben. Bitte lies ihn zu Ende, bevor du ihn in den Ofen wirfst.
Du hast mir im Laufe der letzten Jahrzehnte so viele Körbe gegeben, dass ich mich jetzt jeden Monat revanchieren werde. Nach den Johannisbeeren nimm jetzt auch diese Pflaumen von mir! Lass sie meinetwegen verderben oder bewirf mich damit. Nur tue eines bitte nicht: mir wieder einen Korb zu geben!
Vor vielen Jahren habe ich dich in mein Herz geschlossen. In Gedanken bist du immer bei mir. Aber ich weiß, wie sehr ich dir damals weh getan habe. Ich war eine Pflaume, ja! Deine Verachtung verdiene ich zu Recht. Ich habe dich schon unzählige Male um Verzeihung gebeten, aber du hast mich in all den Jahren nie erhört.
Liebe Elli, kannst du mir endlich vergeben? Du würdest mich damit sehr glücklich machen. Ich hätte so gerne mein Leben mit dir geteilt. Können wir nicht wenigstens unsere restlichen Jahre in Freundschaft verbringen? Mir würde es sehr viel bedeuten!
Dein Albert
«Das ist ja ein Liebesbrief!» Schmunzelnd faltete Kati den Brief wieder zusammen. «Der Mann hat Humor, das muss man ihm lassen.»
Kopfschüttelnd ließ Elli sich auf dem Stuhl neben ihr nieder.
Kati fragte sich, ob ihre Großmutter nicht vielleicht auch ein wenig gerührt war. Egal, was damals vorgefallen war, der Gedanke an ein versäumtes Glück musste doch auch Elli sentimental werden lassen!
Behutsam strich sie ihr mit der Hand über die Wange. «Was meinst du, Omi, willst du ihm wieder einen Korb geben?»
Elli seufzte tief. Doch ehe sie antworten konnte, klopfte es an der Tür, und kurz darauf stand Dorothee im Zimmer.
Erstaunt blickte sie von einer zur anderen, dann entdeckte sie den Korb.
«Ist es das, was ich denke?» Sie sah Kati fragend an.
«Was denkst du denn?», fragte Kati scheinheilig.
«Ich denke, dass da ein gewisser Herr all seinen Mut zusammengenommen hat.»
… und deinen Rat befolgt hat!, ergänzte Kati in Gedanken. Sie war gerührt, wie sehr sich Dorothee für Ellis Glück einsetzte. Sie hatte ihre Stiefmutter eindeutig unterschätzt.
«Also, mir imponiert seine jahrzehntedauernde Treue irgendwie», fügte Dorothee noch hinzu.
«Albert Carstensen … und treu?» Elli schnaubte verächtlich.
«Na gut, ich lass euch mal lieber allein.» Dorothee wandte sich zum Gehen. «Ich wollte nur kurz Bescheid sagen, dass ich zu Hinrich fahre.»
Nachdem Dorothee gegangen war, saßen Kati und ihre Großmutter eine ganze Zeit schweigend nebeneinander. Irgendwie wurde Kati das Gefühl nicht los, Elli könnte vielleicht doch noch jemanden zum Reden brauchen. Das würde aber dauern, Elli war niemand, der einfach über seinen Schatten springen konnte.
Plötzlich fiel Kati etwas ein. Sie stand auf, strich ihrer Großmutter im Vorbeigehen über die Schulter und ging in die winzige Küche, die sich an die Wohnstube anschloss. Sie hoffte, im Kühlschrank eine Flasche von Ellis selbstgemachtem Eierlikör zu finden.
Kati hatte Glück. Mit der Flasche und zwei Gläsern kehrte sie zurück an den Tisch.
Regungslos sah Elli zu, wie Kati ihnen einschenkte.
«Es ist zwar noch früh», gab Kati zu bedenken, «aber was soll’s.» Und weil Elli ihr weiterhin stumm zusah, fügte sie noch hinzu: «Nach der erfolgreichen Feier haben wir uns ein Gläschen verdient.» Sie hob ihr Glas. «Also, auf dein Wohl!»
Zögernd griff Elli nach dem Eierlikör und nahm einen kleinen Schluck. Aber erst nachdem sie das Glas geleert hatte, lehnte sie sich zurück und holte tief Luft.
«Es ist schon … über sechzig Jahre her …», begann sie zögerlich. «Ich hatte mich gerade mit Wilhelm verlobt, als … Albert Carstensen anfing, mir den Hof zu machen.»
«Er hat mit dir geflirtet?», fragte Kati ungläubig. «Der alte Carstensen!?»
«Damals war er ja noch jung. Aber es war natürlich äußerst ungehörig, schließlich war ich – wie gesagt – frisch verlobt, und ich hatte Angst, dass Wilhelm was merken würde. Er war eifersüchtig, ja sehr eifersüchtig sogar.» Elli knetete ihre Hände. «Aber Albert war das egal. Immer wieder beschwor er einen Streit herauf. An einem Sonnabend, ich wartete bei meinen Eltern in ihrem Pflaumenbaum-Garten auf Wilhelm, der mich zum Tanzen abholen wollte, stand er mit einem Mal vor mir. Er mokierte sich darüber, dass Wilhelm mich offensichtlich warten ließ, und schlug vor, dass ich doch mit ihm tanzen gehen sollte. Natürlich hab ich mir diese
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