Der Himmel über der Heide (German Edition)
an, ohne ein wirklich besorgtes Gesicht zu machen. «Eigentlich ist er doch viel zu jung für mich!»
«Quatsch! Das hab ich dir doch schon mal gesagt. Ich meine, Simon ist schließlich das beste Beispiel dafür, dass ältere Männer nicht automatisch auch beziehungsfähiger sind», stellte Kati fest und griff nach den Crackern.
Pit erschien ihr zwar nicht unbedingt reifer als die meisten Endzwanziger. Aber trotzdem hatte Flo aus ihrer Sicht keinen Grund, sich nicht auf diesen liebenswürdigen Kerl einzulassen. Endlich mal ein Mann, der Flo höchstwahrscheinlich nicht ausnutzte, sondern sie auf Händen trug.
«Die Frage ist nur», gab Kati zu bedenken, «was aus ihm wird, wenn Hinrich wieder voll einsatzfähig ist. Ich weiß nicht, ob er sich dann nicht einen neuen Job suchen muss.»
«Dann kann er ja für mich in Hamburg kochen», erwiderte Flo lachend. «Aber mal im Ernst: So weit denke ich noch gar nicht. Ich lebe heute, und das solltest du auch tun!»
Erneut stieß Flo mit Kati an.
Gar nicht so leicht, dachte Kati, als sie sich wenig später auf das Sofa legte und in die von Flo frisch bezogene Bettdecke kuschelte. Nicht nur der Alkohol hielt sie vom Schlaf ab.
Sie musste ständig an den Heidehof denken und an die noch ausstehenden Entscheidungen, die es zu treffen galt. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie emotional und gedanklich abgetaucht war in den letzten Wochen. Auch wenn es kein erholsamer Urlaub war und sie sich komplett erschöpft fühlte, so war es doch eine sehr erfüllende Zeit gewesen. Die Arbeit dort war ihr als eine wirklich sinnvolle Aufgabe erschienen, und sie war froh, ihren Teil zum Fortbestand des Heidehofes beigetragen zu haben. Für einen Moment kam ihr sogar in den Sinn, ihren Job in der Agentur sofort zu kündigen. Erst recht, wenn die Bank grünes Licht für die Sanierung gab. Die Entscheidung stand zwar noch aus, aber Dorothee war nach wie vor sehr zuversichtlich.
Nur was sollte Kati dann genau tun? Wollte sie wirklich den Rest ihres Lebens in Uhlendorf sitzen und Bettwäsche wechseln? War das vernünftig? Würde sie ihre Familie wirklich jeden Tag um sich haben wollen? Und würden ihr Vater, Elli und vor allem Dorothee sie überhaupt mit durchfüttern können? Sicher, sie hatte ein bisschen was zur Seite gelegt. Trotzdem beschlich Kati das ungute Gefühl, möglicherweise die Fehler von früher zu wiederholen. Wenn sie in Hamburg alles hinwarf, würde sie wieder nur vor ihren Problemen davonlaufen. War es wirklich richtig, ihr bisheriges Leben einfach aufzugeben?
Kati wälzte sich in ihrem provisorischen Bett hin und her.
Sie konnte unmöglich jedes Wochenende in die Heide fahren und dort aushelfen. Das würde sie auf Dauer nicht durchhalten.
Wo sollte sie in Zukunft überhaupt wohnen in Hamburg? Sollte sie darauf bestehen, dass Simon ihr die Wohnung überließ? Schließlich war er derjenige gewesen, der sie auf Abstand gehalten hatte.
Aber wollte sie das wirklich? Wollte sie zurück in ihr altes Leben? In ihren bisherigen Alltag? Es half nichts. Sie musste dringend mit Simon reden und die Sache klären.
***
Tatsächlich war Kati am nächsten Tag schon mittags mit der Arbeit fertig. Gero hatte ihr die Gestaltung eines Flyers und eines dazugehörigen Plakates aufgetragen. Es ging um ein spezielles Winterreifen-Serviceangebot eines Autohauses. Ruck, zuck hatte auch Flo die passenden Texte dazu gedichtet. Und sie wollten gerade in die Mittagspause gehen, als Gero unvermittelt an der Tür stand.
«Was macht der Auftrag von Niehof?», fragte er.
«Ist so gut wie fertig», erwiderte Kati und griff nach ihrer Tasche.
Sie hatte vergeblich darauf gewartet, dass Gero sich nach ihrem Urlaub, geschweige denn nach ihrem Vater erkundigte.
«Die Headline steht auch schon», ergänzte Flo und streifte sich ihre Jacke über. «Nach der Mittagspause hast du die Entwürfe auf deinem Schreibtisch.»
«Gut.» Gero wollte schon wieder gehen, als er sich noch einmal zu Kati umdrehte. «Ich würde dich gern noch kurz sprechen. In meinem Büro.»
Kati nickte und sah ihre Freundin fragend an.
«Was soll das denn?», fragte sie, als Gero schon aus dem Zimmer war.
«Er will dir bestimmt eine Gehaltserhöhung anbieten», scherzte Flo.
Aber beide wussten nur zu gut, dass dies leider mehr als unwahrscheinlich war. Die Auftragslage in der Agentur war beängstigend dünn.
Flo versuchte Kati zu beruhigen. «Lass dich bloß nicht vom Chef einschüchtern!»
Unruhig schaute Kati auf die Uhr.
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