Der Hoteldetektiv
mich an.
Seine Stimme klang sehr ruhig: »Jörg, können Sie herüberkom-
men, in unser neues Haus.«
»Was ist passiert?«
»Ein Mord.«
Mir brach der kalte Schweiß aus. Ich raste unter die Dusche, zog
mich dann an.
Ein Mann war ermordet worden in der Bar.
Er hatte an der Theke gestanden und sehr zurückhaltend getrun-
ken, als er plötzlich zusammensackte.
Als man ihn aufhob, sah man, daß er erstochen worden war. Er
war ein Gast des Hotels. Er trug einen sehr bekannten Namen.
Seine Begleiterin hatte ihn nach einem kurzen, aber heftigen Wort-
wechsel im Speisesaal verlassen.
Messerstechereien schienen in Mode gekommen zu sein; nun ja,
sie waren lautlos und rasch auszuführen, wenn man sich darauf ver-
stand.
Diesmal hätte kein Geld der Welt und keine noch so strenge Dis-
kretion verhindern können, daß der Mord bekannt wurde.
›Enkel des Baukönigs erstochen‹, schrien am nächsten Morgen
die Überschriften in den Zeitungen.
Der Enkel war vierunddreißig Jahre alt gewesen, seine Begleiterin
ein Mädchen, das niemand im Haus kannte und das spurlos ver-
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schwunden war. Die Zeitungen erwähnten nur ein Playgirl, ohne
Namen.
Das Zimmer des Verstorbenen in unserem neuen Hotel hatte die
Polizei schon durchsucht, und zwar so gründlich, daß ich dort be-
stimmt nichts mehr gefunden hätte, selbst wenn der Raum nicht
von Amts wegen versiegelt gewesen wäre.
Sheraman war bei allen Zeugenaussagen – des Kel ners im Speise-
saal, des Barkeepers und der wenigen Gäste – dabeigewesen.
Niemand war dem Enkel – ich möchte ihn hier einfach Jochen
nennen, da seine Angehörigen noch leben – zu nahe gekommen.
Als das Playgirl ihn nach dem Streit verlassen hatte, war nichts weiter geschehen, als daß er seine Rechnung unterzeichnet hatte und
in die Bar gegangen war. Der Barkeeper schwor, daß nur ganz we-
nige Gäste um diese Zeit dort waren und Jochen als einziger an der Bar gestanden habe. Niemand hatte mit ihm gesprochen, niemand
hatte ihn angerührt, niemand war an ihm vorbeigestreift.
»Das neue Haus ist mir verleidet«, sagte Sheraman, »wäre es Ihnen
recht, Jörg, wenn ich zu Ihnen ins Conti käme?«
Er wirkte sehr bedrückt und hatte seine straffe Haltung verloren.
Plötzlich mußte ich denken, er ist ein Mann auf dem Rückzug.
Sheramans Einfluß und mein eigener bescheidener sicherten ihm
das Zimmer neben dem meinen im Conti.
»Wäre es Ihnen recht, wenn wir zusammen frühstückten?« fragte
er.
»Aber natürlich«, sagte ich.
Also frühstückten wir in seinem Zimmer.
Sheraman nahm nur sehr selten seine Brille ab. Während des
Frühstücks tat er es.
Seine Augen wirkten wie erloschen; ich hatte ihn, was sein Alter
angeht, niemals richtig einschätzen können. Und nun sah ich, daß
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ich einen sehr alten Mann vor mir hatte.
Er trank seinen Orangensaft, er aß ein Scheibe Toast mit Honig –
das war alles.
Ich bemühte mich, meinen Hunger zu bezähmen.
»Ich möchte Sie nicht verlieren, Jörg«, sagte Sheraman schließlich.
»Aber ich glaube, ich sollte Ihnen eine Atempause gönnen.«
»Das wäre schön«, sagte ich und hörte selbst, wie belegt meine
Stimme klang.
»Wir haben da ein Haus in Spanien. Bisher niemals Probleme ge-
habt.«
Bisher, bisher, dachte ich und spürte meinen Magen. In den letz-
ten Wochen geschah das häufiger; es war, als sei da nichts als eine harte Kugel in meinem Bauch.
»Und wollen Sie Jinny von mir grüßen?« Er schob etwas über den
Tisch, ein langes schwarzsamtenes Etui. »Ich habe nie eine Tochter gehabt. Und bitte, verstehen Sie diese Geste nicht falsch.« Damit
stand er auf und nickte mir noch einmal zu.
In dem Etui lag eine herrliche Perlenkette mit einem Saphir-
schloß.
Auf meinem Nachttisch fand ich einen Umschlag, ich wußte
nicht, wie er dorthin gekommen war.
Nur ›Jörg‹ stand darauf.
Und als ich den Briefbogen herauszog, las ich: ›Ich habe auch nie
einen Sohn wie Sie gehabt.‹
Von München nahm ich einen Intercity nach Köln und dann ei-
nen Bummelzug nach Aachen.
So viele Stätten meiner Kindheit zogen an mir vorüber, die sich
aber in den letzten Jahrzehnten so verändert hatten, daß ich mich
nur noch an den Ortsschildern der Bahnhöfe orientieren konnte.
Schade, dachte ich. Schade, und wußte, daß ich etwas gegen
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meine Depression tun mußte.
Also ging ich nicht zuerst nach Hause, sondern zu Dr. Heinze.
»Sie haben gesoffen«, sagte er.
»Nein.«
»Wirklich
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