Der Hoteldetektiv
Jinny
ausgesprochen geschmacklos fand.
Auf unserem Tisch stand keine goldene Rose.
An den anderen Tischen, wo eine stand, nahmen offensichtlich
gut betuchte Herren mit ihren Begleiterinnen Platz.
»Komisch«, sagte Jinny nach einer Weile, »statt einem der Mäd-
chen so eine goldene Rose zu überreichen, steckt der da drüben,
vierter Tisch von links, sie sich ins Knopfloch.«
Wir dehnten unser Essen noch mit Crêpe Suzette aus und nah-
men zum Kaffee einen sehr alten Armagnac.
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Die goldenen Rosen waren inzwischen von allen Tischen ver-
schwunden, bis von einem, der noch nicht besetzt war; natürlich
kam es vor, daß Gäste auch erst nach dem Theater hier speisten.
»Entschuldigst du mich einen Moment?« Jinny lächelte lieb.
»Natürlich.«
Ich widmete mich meinem Armagnac und meinen Gedanken.
Zum ersten Mal in meiner Laufbahn hatte ich das Gefühl, ein Ver-
sager zu sein.
Jinny kam zurück und sagte: »Jörgi, sei mir nicht böse, aber ich
bin mit einemmal so müde.« Sie gähnte diskret, der Maître d' legte mir die Rechnung vor, ich zeichnete sie ab.
Jinny und ich durchquerten die Halle und fuhren hinauf in un-
sere Suite.
Jinny knipste das Licht im Bad an, ließ die Tür offen und winkte
mir. Und legte dann den Finger auf die Lippen.
Aus dem weiten Ärmel ihres Kleides, der am Handgelenk mit ei-
nem Bündchen und einem Perlknopf verschlossen war, zog sie die
goldene Rose des noch nicht besetzten Tisches aus dem Speise-
saal.
Ich schnaubte nur, weil mir ja Reden verboten war.
Jinny zog ein paar hauchdünne Nylonfäden, rieb an den Rosen-
blättern herum, und was kam zum Vorschein – eine Hundertdol ar-
note.
Jinny drückte die Wasserspülung und flüsterte: »Zumindest wissen
wir jetzt, wie das Geld aus dem Haus geschafft wird.«
Am nächsten Tag liefen wir beinahe drei Stunden im Central-Park
spazieren.
Also, das Geld wurde im Tresorraum gestohlen, aber wer verwan-
delte es in goldene Rosen?
Und wann wurden sie in die Seidenblumensträuße gesteckt und
für wen?
Wir beschlossen fürs erste, den Golden-Globe -Raum möglichst häu-97
fig aufzusuchen. Das wiederum durfte nicht auffallen.
Den Maître d' ließ ich mit einem Augenzwinkern wissen, meine
Frau habe ein Faible für Berühmtheiten, die sie sonst nur in Filmen oder auf der Bühne bewundern konnte. Auch hielt ich das Trinkgeld gerade immer so hoch, daß es ihm schmeicheln, ihn jedoch
nicht mißtrauisch machen konnte.
Nun, die Herren, die sich goldene Rosen ins Knopfloch ihrer
maßgeschneiderten Anzüge steckten, wechselten ständig.
Unsere wilde Vermutung, daß sie einer Mafia-Familie zugehörten,
wurde durch ihr zu unterschiedliches Verhalten widerlegt.
Inzwischen hielt ich engen Kontakt mit Lydia und ließ mir immer
wieder und immer wieder von George erzählen.
»Aber Sie können ihn gar nicht verdächtigen«, sagte sie, »er ge-
hört seit zweiundzwanzig Jahren zu unserem Haus. Ich würde mir
eher selbst einen Diebstahl zutrauen als ihm.«
Ich fand heraus, daß er beinahe jeden Abend und erst recht jetzt,
nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau, sein Arbeitszimmer als
letzter der leitenden Angestellten verließ.
Ich durchsuchte, wenn auch nur mit knapper Billigung Lydias,
sein Büro. Doch ich fand nichts, aber auch gar nichts, was mir in
irgendeiner Weise weitergeholfen hätte.
Bei meinem Abstieg in die niedrigen Gefilde des Hotels, wo sich
die Heizungsanlage, Klimaanlage und vor allem riesige Vorratsräu-
me befanden, entdeckte ich etwas, was mich verblüffte. Hier unten, als Wächter über die diversen Anlagen, arbeitete Georges Sohn. Ich tat, als hätte ich – als Gast – mich einfach um einige Etagen verirrt, ließ ihn aber mein Interesse an seiner verantwortsvollen Arbeit spü-
ren, denn schließlich, so sagte ich ihm, würde hier unten etwas
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schieflaufen, bekäme es das ganze Hotel zu spüren.
Er grinste jungenhaft und sagte: »Von hier aus könnte man den
ganzen Kasten in die Luft sprengen. Klasse, was?«
»Und wie würde so etwas passieren können?«
»Ein geschickter Kurzschluß – und paff!« Er grinste auf eine so
liebenswürdige Weise, als habe er mir gerade ein großes Geschenk
gemacht.
Der Junge wirkte so harmlos, als wäre er geradewegs aus einem
anderen Land gekommen, in dem es keine Diebstähle, keine Mor-
de, eben überhaupt keine Verbrechen gab. Er wirkte auch keines-
wegs so wie jemand, der kifft oder fixt.
Ich erzählte ihm, daß ich Ingenieur sei und
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