Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
König begrüßte ihn höflich, aber nicht allzu freundlich, als erwarte er etwas Unerfreuliches zu hören.
„Wie geht es meiner Schwägerin? Wie hat sie ihren tragischen Verlust verkraftet?“, fragte er.
„Königin Brunichild?“, erkundigte sich Wittiges, um Zeit zu gewinnen.
„Du bringst keine Botschaft von ihr? Es heißt, du bist bereits seit einigen Tagen in der Stadt. Warum erscheinst du erst heute bei mir?“
Wittiges hatte das merkwürdige Gefühl, in etwas hineingeraten zu sein, das sich seinem Verständnis entzog. Guntram wirkte angespannt. Er empfing ihn auch nicht allein, sondern zusammen mit zwei Ratgebern, von denen der eine sein wichtigster Heerführer war, dux Boso. Die Gegenwart des Herzogs ließ darauf schließen, dass wieder kriegerische Auseinandersetzungen bevorstanden. Nur, was hatten Neustrien und Brunichild damit zu tun?
„Um ehrlich zu sein, ich habe die Königin seit Weihnachten nicht mehr gesehen und bin in einer Angelegenheit in eigener Sache hier. Ich suche nach meinem Sohn Felix, der in dieser Stadt verschwunden ist. Vor etwa einem Jahr, vielleicht hast du davon gehört.“
Guntram schlug die Hand vor den Mund und starrte ihn entsetzt an. „ Es war dein Sohn? Das hat sie damals nicht gesagt.“
Wittiges wartete schweigend darauf, dass der König fortfuhr. Er wusste also von Felix’ Entführung? Das war neu für ihn.
„Der kleine Bertho sollte entführt werden, nicht wahr? Aber er wurde mit einem anderen Jungen verwechselt. Es tut mir leid, dass es ausgerechnet dein Sohn war. Hätte ich das geahnt, ich hätte ...“ Guntram verstummte.
Wittiges war heilfroh, endlich offen über die Sache mit jemandem reden zu können. Das war entschieden ein Fortschritt.
„Wir haben damals die Stadt Haus für Haus durchsucht“, mischte sich Boso ein. „Und nicht mehr erfahren, als wir bereits wussten. Es waren Fremde, die dem Kind aufgelauert hatten. Es war eine von langer Hand geplante Entführung. Mich verwundert nur ...“ Er dachte nach. „Sobald sie den Irrtum bemerkten, hätten sie den Jungen freilassen müssen, und falls sie ihn sofort getötet hätten, hätte man seine Leiche gefunden. Ich frage mich ernsthaft, warum der Junge weder tot noch lebendig wieder aufgetaucht ist. Was nutzte er ihnen denn noch? Spätestens seit Berthos Einsetzung als Erbe von Burgund war klar, dass sie sich den falschen Jungen geschnappt hatten.“
Bosos Ausführungen lösten einen irrsinnigen Schub von Hoffnung bei Wittiges aus. „Du meinst, er könnte noch leben?“
Boso betrachtete ihn mitleidig. „Ehrlich gesagt, nein. Wer weiß, was für Strauchdieben oder Halunken er in die Hände gefallen ist. Selbst Meuchelmörder sind nicht mehr das, was sie mal waren. Es gibt keinen Ehrenkodex mehr, der ihnen gebietet, die Toten zu ehren.“
Wie Strohfeuer sank Wittiges’ Hoffnung in sich zusammen. Er erhob sich. „Da ja nun klar ist, dass ich nicht als offizieller Bote Königin Brunichilds hier bin, gestattet ihr mir, mich zurückzuziehen?“
„Noch nicht“, sagte Guntram rasch. „Es wäre mir lieb, wenn du die Übermittlung wichtiger Nachrichten an den Hof von Neustrien übernähmst. Kaiser Tiberius zieht gegen die Langobarden in Oberitalien, und es sieht nicht gut für ihn aus. Alles spricht für eine schwere Niederlage der Byzantiner. Eure Gebiete um Marseille sind in unmittelbarer Gefahr.“
Wittiges verstand sofort. Der Kaiser galt immer noch als Oberherr aller fränkischen Könige. Seine Siege und vor allem seine Niederlagen betrafen also auch die fränkischen Reiche, und es würde sich noch zeigen, in welcher Weise diesmal. Warum aber wies Guntram nicht darauf hin, dass auch seine Hälfte von Marseille in Gefahr war? Wollte er etwa die Verteidigung der Grenzgebiete Brunichild überlassen? Und von Marseille war es nicht weit bis Arles und bis in den Süden Burgunds. Guntram hatte durch die Langobarden mehr zu verlieren als Brunichild.
Als er sich endlich verabschieden konnte, hatte er einen Entschluss gefasst. Er würde nicht nach Metz aufbrechen, sondern seine Reise in den Süden fortsetzen und in Marseille Näheres über die Lage in Oberitalien in Erfahrung bringen.
Aber vorher brach er in das Haus von Nikomedes ein.
Es war kurz nach Mitternacht, und die Stadt lag in tiefem Schlaf. Es zahlte sich aus, dass er sich dank seiner häufigen Besuche in der Anlage von Haus, Hof und Garten städtischer Anwesen gut auskannte. Daher hatte er bald eine kleine Pforte ausfindig gemacht, die sich
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