Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Kadaver.
Wittiges schüttelte die Lethargie ab, die ihn die ganze Zeit über gefangen gehalten hatte. Nun wollte er nur noch diesem grauenhaften Ort entfliehen. Er sprang auf.
Da sprach ihn Baian an. Der Kaghan hatte, auf einem Podest sitzend, den Zeremonien beigewohnt, gekleidet in ein langes Gewand aus schwerer Seide, angetan mit Prunkwaffen, die vor Edelsteinen nur so funkelten. Auch der breite, reich mit Goldornamenten besetzte Gürtel glänzte im Sonnenlicht.
Fragend schaute Wittiges Venantius an.
„Er fordert ein Opfer von dir“, erklärte Venantius mit flacher Stimme. „Es tut mir wirklich sehr leid“, fuhr er gedämpft fort. „Und ich mache mir die bittersten Vorwürfe, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Ich hab das Mädchen ja gesehen, sie hat an deinem Bett auf dich gewartet. Wenn ich bloß geahnt hätte, dass ... ich hätte sie weggeschickt, bevor du kamst. Schau, sie bringen dein Pferd!“
Zwei Franken führten, von einer Gruppe Awaren begleitet, Bauto heran, der wild an den Zügeln zerrte, mit denen sie ihn hielten.
Die dritte Grube war noch leer!
„Es ehrt die Tote, wenn du es selbst tust“, sagte Baian mit harter Stimme und Venantius übersetzte getreulich, fasste Wittiges dann aber am Arm.
„Hast du verstanden, was er meint?“, flüsterte er. „Er will, das du ...“
„Ja, ich weiß“, zischte Wittiges zwischen den Zähnen hervor.
Wer hatte Baian erzählt, wie viel ihm das Pferd bedeutete? Kursich? Wahrscheinlich. Er hatte oft genug gesehen, wie liebevoll und vertraut er mit Bauto umging. Der kleine Hengst beruhigte sich, sobald er seinen Herrn sah, und schüttelte mutwillig die Mähne. Als er jedoch das Blut roch, das die Erde durchtränkte, trat Panik in seine Augen. Wittiges ging langsam auf ihn zu, während er ihm gut zuredete und sich eine Eiseskälte in seinem Innern ausbreitete. Alles in ihm bäumte sich gegen die Forderung des Kaghans auf. Er erwog allen Ernstes, sich auf Bautos Rücken zu schwingen und davonzupreschen.
Niemand konnte dieses Opfer von ihm verlangen!
Alles Gemurmel, fast jedes Geräusch verstummte. Spannung machte sich breit. Unauffällig waren Awarenkrieger an die Seite der Franken getreten, und da erkannte Wittiges, in welcher Gefahr sie alle schwebten. Etwas Undurchsichtiges war vorgegangen, dessen Einzelheiten ein unentwirrbares Knäuel bildeten, ein heimtückisches Netz um ihn herum, die abscheulichste Falle, in die er je getappt war. Wie hatte das geschehen können?
Er wollte Bauto nicht opfern, nicht um alles in der Welt, nicht seinen Bauto!
8
Casa alba war das Paradies auf Erden. Davon war Felix felsenfest überzeugt, und er verstand nicht, dass Ulf sich danach sehnte, Reims oder Metz zu sehen, und nur mit Ehrfurcht vom sedes regis , dem Königssitz, sprach, seit er ihm die lateinischen Worte beigebracht hatte. Dabei hatte er ihm oft genug erzählt, wie viel Langeweile und Ärgernisse beinahe jeder Tag dort mit sich brachte.
Ulf war ein Halbbruder des Schmieds Otho, der seit eineinhalb Jahren mit seiner Mutter verheiratet war, der noch recht jungen Witwe und zweiten Frau des im Krieg gefallenen Vaters der Brüder. Dadurch hatten sich verworrene Familienverhältnisse ergeben, zumal Ulf nun eine kleine Schwester hatte, die gleichzeitig seine Tante war, während sein Bruder sein Stiefvater und demnach ihr gemeinsamer Vater anscheinend auch irgendwie Ulfs Großvater war. So ganz hatten sie das nie auf die Reihe bekommen.
Soweit Felix wusste, war Ulf etwa so alt wie er selbst, das hieß, ein knappes halbes Jahr jünger. Dass Ulf beinahe einen Kopf größer war, störte ihn nur manchmal, denn er betrachtete ihn als echten Freund.
Wann immer sie es einrichten konnten, trafen sich die beiden. An diesem Tag hatte sich Ulf schon früh am Nachmittag davonstehlen können. Otho war ins Mühldorf gerufen worden, Pferde zu beschlagen, und er wollte noch Theodos Hof einen Besuch abstatten, einem etwas größerem Bauerngut, das Felix’ Vater vor einigen Jahren gekauft hatte. Sie hatten Stunden in Freiheit vor sich, ein unerwartetes Geschenk des Himmels.
Ulf hatte ein blaues Auge und dazu eine blutige Wunde direkt am Haaransatz, an der sich gerade Schorf gebildet hatte. Felix wusste, es hatte keinen Zweck, nach der Herkunft der Verletzungen zu fragen, das hätte seinen Freund nur in Verlegenheit gebracht.
Sie standen am Rand einer Weide, auf der einige Pferden herumtollten. Zwei Fohlen waren darunter, kaum drei Monate alt.
„Habt ihr schon Namen
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