Der Hund des Todes
weißt, was sie sagen – dass es mit mir zu Ende geht. Sie sagen es hinter meinem Rücken, verstehst du? Wenn sie mit mir sprechen, sind sie zuversichtlich und trösten mich. Aber es ist nicht wahr, Raoul, es ist nicht wahr! Ich werde mir selbst nicht erlauben zu sterben. Sterben? Jetzt, wo ein schönes Leben vor mir liegt. Es ist der Wille zu leben, darauf kommt es an. Das sagen alle berühmten Ärzte von heute. Ich gehöre nicht zu den Schwachen, die sich gehen lassen. Ich fühle mich schon viel besser – sehr viel besser, hörst du!‹
Sie richtete sich auf und stützte sich auf die Ellbogen, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, dann fiel sie zurück, von heftigem Husten geschüttelt, der ihren ausgezehrten dünnen Körper hin und her warf.
›Der Husten – das ist nichts‹, japste sie. ›Und die Blutstürze erschrecken mich nicht. Ich werde die Ärzte überraschen. Es ist der Wille, auf den es ankommt. Denk daran, Raoul, ich werde leben.‹
Es war entsetzlich, erbarmungswürdig, verstehen Sie?
Da kam Felicie Bault mit einem Tablett heraus, mit einem Glas heißer Milch. Sie reichte es Annette und sah ihr beim Trinken mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen zu. Irgendwie schien dieser Blick eine innere Befriedigung auszudrücken. Auch Annette fing den Blick auf. Sie schleuderte das Glas fort, dass es in Stücke zersprang.
›Siehst du, wie sie mich ansieht? So sieht sie mich jetzt immer an. Sie freut sich, dass ich bald sterbe. Ja, sie weidet sich daran. Sie, die so stark und gesund ist. Sieh sie nur an, keinen Tag war sie krank, nicht einen einzigen! Und alles für nichts. Was nützt ihr ihr starkes Gerippe? Was kann sie damit machen?‹
Felicie bückte sich und hob die Glassplitter auf.
›Ich mache mir nichts daraus, was sie sagt‹, bemerkte sie dabei mit einer singenden Stimme. ›Was macht das schon? Ich bin ein ehrbares Mädchen. Aber was sie betrifft, wird sie die Qualen des Fegefeuers bald kennen lernen. Ich bin eine Christin, ich sage nichts.‹
›Du hasst mich!‹, schrie Annette. ›Du hast mich immer gehasst. Aber ich kann dich verzaubern, trotz alledem. Ich kann dir befehlen, etwas zu tun, ganz egal was, und du wirst es tun. Siehst du, ich kann dir jetzt sagen, du sollst hier vor mir im Gras niederknien, und du wirst es tun.‹
›Das ist ja albern‹, sagte Felicie mit Unbehagen.
›Aber ja, du wirst es tun. Du wirst! Um mir zu Gefallen zu sein. Herunter auf deine Knie. Ich sage es dir, ich, Annette. Auf deine Knie, Felicie!‹
Ob es nun der besondere Ton war, der in Annettes Stimme schwang, oder ein tieferes Motiv – Felicie gehorchte. Sie sank langsam auf ihre Knie nieder, ihre Arme weit ausgestreckt, und ihr Gesichtsausdruck war leer und dumm.
Annette warf den Kopf zurück und lachte.
›Sieh nur, was für ein dummes Gesicht sie hat! Wie lächerlich sie aussieht… Du kannst jetzt wieder aufstehen, Felicie, danke. Es hat keinen Zweck, mich so böse anzusehen, ich bin deine Herrin. Du musst tun, was ich sage.‹
Erschöpft sank sie in die Kissen zurück. Felicie nahm das Tablett und ging langsam fort. Einmal sah sie noch über ihre Schulter zurück, und der schwelende Hass in ihrem Blick erschreckte mich.
Ich war nicht dabei, wie Annette starb. Aber es muss schrecklich gewesen sein. Sie hing am Leben. Sie kämpfte gegen den Tod wie eine Wahnsinnige. Wieder und wieder soll sie geschrien haben: ›Ich will nicht sterben – hört ihr mich? Ich will nicht sterben, ich will leben – leben…‹
Miss Slater erzählte mir alles, als ich sie sechs Monate später wieder besuchte.
›Mein armer Raoul‹, sagte sie freundlich. ›Du hast sie immer geliebt, nicht wahr?‹
›Immer – immer. Aber was konnte ihr das nützen? Lassen Sie uns nicht mehr davon sprechen. Sie ist tot… sie, die so sprühend war, so voller Leben.‹
Miss Slater war eine mitfühlende Frau. Sie sprach von anderen Dingen. Sie machte sich um Felicie große Sorgen, sagte sie. Das Mädchen habe einen merkwürdigen Nervenzusammenbruch erlitten. Seitdem sei ihr Verhalten sehr seltsam.
›Weißt du‹, ergänzte Miss Slater nach einigem Zögern, ›sie lernt jetzt Klavier spielen.‹
Das wusste ich nicht, und es überraschte mich sehr. Felicie – und Klavier spielen lernen! Ich hätte sofort beschwören können, dass das Mädchen nicht eine Note von der anderen unterscheiden konnte.
›Sie hat Talent, sagt man‹, fuhr Miss Slater fort. ›Ich kann das nicht verstehen. Ich habe sie immer für –
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