Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
nichts war wichtig, nur ein Schritt nach dem anderen auf dem Gehsteig, eingekeilt in der Menge, die auch so spät abends noch unterwegs war.
Die Menge. Er spürte es. Männer umdrängten ihn. Eine Hand berührte seine Schulter. Er fuhr herum und schlug mit dem Arm aus, um sich von dem Griff zu befreien. Plötzlich fühlte er in der Nähe des untersten Rückenwirbels den scharfen Stich einer Nadel. Dann wurde es dunkel um ihn...
Das Telefon weckte Yakov; er nahm den Hörer ab. »Ja?«
»Sie haben den Amerikaner«, sagte Grau. »Wichtiger ist, sie existieren tatsächlich.«
»Wo ist es passiert? Wie?«
»Unwichtig. Ich kenne die Straßen sowieso nicht. Entscheidender ist, daß wir wissen, wohin sie ihn gebracht haben.«
»Ihr wißt was? Woher? Und sag jetzt bloß nicht, das sei nicht wichtig.«
»Weingrass hat es fertiggebracht. Verdammt, es war tatsächlich Weingrass. Er merkte, daß er zu Fuß nicht mehr weiterkonnte, also hat er einem Araber, der vor Begeisterung prompt ausgeflippt ist, zehntausend Dollar für sein vergammeltes Taxi gegeben. Dieser al harmi wird in den nächsten sechs Monaten nur noch blau sein. Wir sind in das Taxi geklettert, sind dem Objekt gefolgt und haben gesehen, wie’s passierte. Verdammt, das haben wir tatsächlich Weingrass zu verdanken!«
»Zügle deine Mordgelüste«, befahl Yakov mit einem Lächeln, das sehr schnell wieder verflog. »Wo wird das Objekt – ach, Scheiße! Wo wird Kendrick festgehalten?«
»In einem Gebäude namens Sahalhuddin in der Straße Al Tidschar...«
»Wem gehört es?«
»Gib uns ein bißchen Zeit, Blau. Gib Weingrass Zeit. Er treibt im Moment jede Schuld ein, die er in Bahrein noch ausstehen hat, und ich will gar nicht daran denken, was die in Jerusalem dazu zu sagen hätten, wenn wir mit ihm gemeinsame Sache machten.«
»Antworte!«
»Wie es aussieht, sind in dem Gebäude sechs Firmen untergebracht. Wir brauchen nur noch die auszugrenzen, die mit unserer Sache nichts zu tun haben...«
»Jemand soll mich abholen«, sagte Yakov.
»Nun haben Sie also den Mahdi gefunden, Herr Abgeordneter«, sagte der dunkelhäutige Araber, der ein reinweißes Gewand und eine mit Saphiren besetzte weißseidene Kopfbedeckung trug. Sie befanden sich in einem großen Raum mit einer gewölbten und mit Mosaiken ausgelegten Decke; die Fenster waren hoch und schmal, das Mobiliar spärlich, aus dunklem, polierten Holz, der riesige Ebenholzschreibtisch mehr ein
Altar als ein funktionaler Arbeitstisch. »Sind Sie jetzt zufrieden?« fuhr der Mahdi hinter dem Schreibtisch fort. »Oder möglicherweise enttäuscht, weil Sie feststellen, daß ich ein Mann bin wie Sie – nein, nicht wie Sie oder jemand anders -, aber trotzdem ein Mann.«
»Sie sind ein Mörder!« Kendrick sprang vom Stuhl auf, wurde aber sofort von zwei Leibwächtern des Mahdi gepackt und zurückgeschleudert. »Sie haben achtundsiebzig unschuldige Menschen ermordet – Männer, Frauen und Kinder, die ich in ihrer Todesnot habe schreien hören, als das Gebäude über ihnen zusammenstürzte. Sie Verbrecher!«
»Das war der Anfang eines Krieges, Kendrick. In allen Kriegen sterben auch Unschuldige, nicht nur die, die zur kämpfenden Truppe gehören. Ich gebe zu, daß ich diese sehr wichtige Schlacht gewonnen habe – Sie sind für Jahre von der Bildfläche verschwunden, und während dieser Jahre habe ich ungewöhnliche Fortschritte erzielt – Fortschritte, die ich wahrscheinlich nicht gemacht hätte, wenn Sie hiergewesen wären. Oder dieser widerwärtige Jude Weingrass mit seinem redseligen Mundwerk.«
»Manny? Er hat uns vor Ihnen gewarnt, immer über Sie gesprochen.«
»Solche Leute bringt mein schnelles Schwert sehr bald zum Schweigen. Das Schwert ist natürlich nur symbolisch gemeint – im allgemeinen bekommen sie eine Kugel in den Kopf. Als ich hörte, daß Sie wieder hier sind, wußte ich, daß Sie wegen dieser ersten Schlacht vor vier Jahren gekommen waren. Bis vor neun Stunden war’s eine fröhliche Jagd für mich, Amal Bahrudi.«
»So?«
»Auch bei den Sowjets gibt es Leute, die gern noch auf einer zusätzlichen Lohnliste geführt werden. Der Euro-Araber Bahrudi wurde vor ein paar Tagen in Ost-Berlin getötet. So kam der Name Kendrick für mich ins Spiel; ein toter Araber mit blauen Augen und abendländischen Gesichtszügen ist plötzlich in Maskat – da eine Verbindung herzustellen war absolut phantastisch, fast unglaublich, doch siehe da, sie paßte. Jemand muß Ihnen geholfen haben, Sie
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