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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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arbeitsteiligen, inhomogenen Gesellschaften folgt:
     
    Erstens weiß man, wenn man forscht, nie vorher, was man wissen wird, und müßte also die Grenzen entweder willkürlich ziehen oder aber den Stand des Wissens auf einem irgendwann gegebenen, arbiträr festzusetzenden Stand einfrieren (vor der Relativitätstheorie, die das Verhältnis von Masse und Energie offenbart, und vor der Kernspaltung kann niemand die Atombombe vorhersagen; sind sie einmal gefunden, kann umgekehrt niemand daran gehindert werden, sie sich auszumalen, es ist also fürs Forschungsverbot immer entweder noch zu früh oder schon zu spät). Die beiden Eigenheiten der Informationsverarbeitung in dafür geeigneten Gesellschaften, die das Abwehren von Folgen der Erkenntnis a limine verbieten, nämlich 1. man kann nicht wissen, was man wissen wird, und 2. das einmal Eingesehene läßt sich schwer ungesehen machen, sind allerdings, wenn auch unaufhebbare, so doch keine Basisgrößen, sondern selbst abgeleitete, nämlich Ergebnisse der computational irreducibility sozialen Lernens im Gegensatz zum individuellen Lernen psychischer Systeme. Letztere können nicht nur lernen, was nie vorher jemand gewußt hat (nämlich wenn sie ihre Erkenntnis aus dem Umgang mit dem gewinnen, was der beobachtbaren Natur an bislang Unbeobachtetem implizit ist 67 ), sondern auch das, was ihnen ein anderer Mensch beibringt und also schon weiß. Lernende Gesellschaften aber wollen nicht zu einem Zustand aufschließen, den ihr Gegenüber (die Natur oder eine angrenzende, erobernde oder eroberte andere Gesellschaft) bereits erreicht hat, sondern immer einen erreichen, den es noch nie gegeben hat – Gesellschaften, die Forschung unterhalten, setzen den Fortschritt damit als soziales Ziel, was nicht einfach nur quantitativ, sondern qualitativ verschieden ist von »Bildung« (ein Mensch, der nicht mehr weiß als seine Lehrerinnen und Lehrer und dann einen Beruf ergreift, in dem bis zum Ruhestand oder Tod dasselbe getan wird, darf sich gebildet nennen; eine Gesellschaft, die ein Menschenalter später nicht mehr weiß und kann als zuvor, ist nicht fortschrittlich).
     
    Zweitens wird, solange nicht alle alles wissen und alle alles tun können, gegen die Versuchung der Vorteilsnahme durch Kenntnisvorsprünge nichts helfen außer eine demokratische Form des Technikmanagements, die man sinnvollerweise nicht auf Sekludierung und Zensur gründen kann, sondern nur auf maximale Transparenz (und übers heute in den reichen Ländern gegebene Maß weit hinausreichende naturwissenschaftlich-technische Bildung; gestern belauschten wir in der S-Bahn eine Dame, die erklärte, ihr Internetzugang sei »telepathisch«, sie meinte W-LAN), weil alles andere sofort zu jenem infiniten Überwachungsregreß führt, den das Juvenalsche Dilemma quis custodiet ipsos custodes meint.
II.
Soziales Lernen unter Warenproduktionsdruck
    Jede von einem Produktivkraftschub angeregte Neuordnung der Produktion erzeugt neue Taxa der Arbeitsteilung, neue Flußdiagramme für Liefer- und Zulieferketten – die allgemeinste Form, in der auch die treuherzigste bürgerliche Wirtschaftsgeschichtsschreibung den Vorgang kennt, ist als abhängige Größe, die aus der Folge von Erfindertaten herausspringt, als der diese Geschichtsschreibung den Erzeugungsfortschritt zu inszenieren gewohnt ist. Ein Erfindergenie steht dabei auf den Schultern des vorhergehenden wie in Newtons Bild vom Weitblick, aber der Boden, auf dem die Füße des ersten Genies standen, war, weil vorkapitalistische Erfindungen sich im Dunkel ungeschichtlicher Kulturkreiserinnerungen verlieren, von Anfang an das Kapitalverhältnis.
    Leute, die Geld haben und daraus mehr Geld machen wollen, lassen Wissenschaftlerinnen und Techniki für sich arbeiten; diese wieder andere Leute – die Videospielkundschaft landet auf der Gehaltsliste der Atari-Bastler, die Experimentatoren und Ingenieure der Chemie verdingen sich in der Nahrungs- oder Waschmittelindustrie, andere ihres Ausbildungsgrades im Maschinenbau oder bei der Rüstung. Nicht, daß immer in derselben Richtung an den Befehlsketten gezogen würde: Grundlagenforschung ist keineswegs überall und jederzeit bloßes Zuliefererbecken für die workforce der Techniki-Aristokratie (um ein Wort von Marx und Engels abzuwandeln); bisweilen verhält es sich auch umgekehrt, wenn etwa Glasschleifer wie Spinoza der Astronomie zuarbeiten.
     
    Wichtig ist für eine zutreffende Einschätzung der Wirklichkeit der Forschung nur,

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