Der Jade-Pavillon
wird auch deinem Vater gefallen. Das ist es, was ich dir von ihm sagen soll: Er bittet dich, das Mädchen sehen zu dürfen.«
Jian zögerte. Er erkannte, daß sein Vater ihn in eine Ecke drängen wollte, aus der er nicht mehr herauskommen konnte, ohne daß er mit der Familie für alle Zeit gebrochen hätte. Jian hätte seinem Vater nicht zugetraut, daß er sein, Jians, Geheimnis erfühlte. »Es gibt nicht das Mädchen«, sagte er mit fester Stimme.
Meizhu schüttelte den Kopf. »Bitte keine Lügen mehr.«
»Mein Vater irrt.«
»Er will Frieden in der Familie. Jian, hilf ihm dabei. Bringe das Mädchen her und stelle es uns vor.«
»Ich kann nicht etwas vorstellen, was es nicht gibt.«
»Ich sehe in deinen Augen die Wahrheit.« Meizhu, in einem seidenen Morgenmantel und mit offenem Haar, war immer noch eine schöne Frau, größer als die meisten Chinesinnen, von schlanker Figur und einer hoheitsvollen Haltung, zu der die Töchter der reichen Familien von Kind an erzogen wurden. »Ist dieses Mädchen von so niedriger Herkunft, daß du dich scheust, es deinem Vater zu zeigen?« fragte sie.
»Es gibt für mich keine niedrige oder hohe Herkunft. Ich liebe einen Menschen, nicht seinen sozialen Status!«
»Jetzt hast du es gesagt, du liebst ein Mädchen.«
»Ich habe meinen Standpunkt erläutert, sonst nichts.«
»Ist es ein Arbeitermädchen? Ein Bauernmädchen? Eine Verkäuferin?«
»Es hat keinen Sinn, Mutter, mich danach zu fragen.« Jian erhob sich vom Tisch und blickte auf seine Armbanduhr. »Ich muß zur Universität. Heute morgen ist Sezieren in der Anatomie.«
»Was soll ich deinem Vater sagen?« Meizhu ließ sich nicht ablenken; sie durchschaute ihren Sohn, wie es nur eine Mutter kann.
Jian wandte sich ab, um ihrem forschenden Blick zu entgehen. Er wußte, daß er ihr mit seinen Lügen großes Leid zufügte. »Sag meinem Vater, daß seine Gedanken andere Wege gehen als die, die ich gehe.«
»Du willst, daß der Streit nicht endet?«
»Ich habe ihn nicht begonnen und gewollt. Wenn es ein Mädchen gibt«, Jian holte tief Atem, »wird mein Vater es sehen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.«
»Er will für dich sein Gesicht opfern und das Versprechen, Yanmei zu deiner Frau zu machen, zurücknehmen. Begreifst du, was das für deinen Vater bedeutet?«
»Es ist die Berichtigung eines Irrtums, den er begangen hat. Wer Probleme schafft, muß sie auch lösen können.«
»Woher nimmst du diese Härte? Jian«, Meizhus Stimme wurde fast zu einem Flehen, und es griff Jian ans Herz, daß er seiner Mutter Schmerz zufügte, »dein Vater ist krank vor Kummer. Er spürt, daß sich sein Sohn immer weiter von ihm entfernt. Hast du kein Vertrauen mehr zu ihm?«
»Ich sehe, daß er leidet, aber ändern wird er sich nie. Er bleibt der Tong, der Ehrfurcht und Unterwerfung als selbstverständlich ansieht. Aber genau das ist es, was er von mir nicht fordern kann. Ich beuge nicht den Nacken und sage untertänig: ›Es geschieht so, wie du befiehlst.‹ Er begreift nicht, daß unsere Generation anders ist. Er will es nicht begreifen.« Jian sah wieder auf seine Uhr. »Ich muß jetzt wirklich fahren, Mutter.«
»Laß dir alles noch einmal durch den Kopf gehen«, sagte Meizhu und begleitete ihn bis zur Haustür. »Kannst du dich erinnern, daß dein Vater uns je um etwas gebeten hätte?«
»Nein.«
»Aber jetzt bittet er. Es ist ein Ruf an dich – Jian, überhöre ihn nicht. Gib ihm eine Antwort.«
»Ich werde am Abend mit ihm sprechen.«
»Und das Mädchen?«
»Es gibt kein Mädchen«, sagte Jian bestimmt.
»Du warst drei Tage und Nächte weg.«
»Es gibt niemanden, der von mir darüber Rechenschaft fordern kann. Mein Vater nicht und auch du nicht, Mutter.« Er klinkte die Tür auf und drehte sich noch einmal zu Meizhu um, bevor er zu seinem Wagen ging. »Ich bin ein ungehorsamer Sohn, und ich habe nicht die Absicht, mich zu ändern.«
Er stieg in sein Auto, sah seine Mutter an der Tür stehen, und sie kam ihm plötzlich kleiner und schmächtig wie eine Frau an der Schwelle des Alters vor. Er wußte, welchen Schmerz er ihr zufügte, und fühlte den Schmerz auch in sich selbst, aber er konnte nicht anders, denn die Wahrheit über Lida würde eine Katastrophe auslösen.
Meizhu sah ihrem Sohn nach, bis sein Wagen hinter der Biegung der Straße verschwunden war. Sie ging ins Haus zurück, schloß die Tür und wandte sich dem Schlafzimmer zu.
Tong saß im Bett, sein Gesicht glich zerknittertem Pergament, die schlaflose
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