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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Art, und die wenigsten erkennen sich selbst.
    Er faßte Chang unter, stützte ihn beim Gehen, und so kamen sie zum Haus und zu Jinvan, die den Kohl kleinschnitt und in den Wassereimer warf. Als sie Chang erkannte, ließ sie das Messer fallen und drückte einen Kohlkopf an ihre Brust, als solle er sie vor einem Stoß schützen.
    »Nimm dein Messer auf und stich zu«, sagte Chang dumpf und wölbte die knochige Brust vor. »Es ist ein gutes, scharfes Messer, ich sehe es. Stich zu. Nur Lida möchte ich noch einmal sehen – gib mir so viel Zeit.«
    »Chang ist unser Gast«, sagte Huang, denn Jinvan war unfähig, auch nur einen Ton zu sagen. »Er soll baden und dann an unserem Tisch sitzen und mit uns essen. Und morgen sehen wir, was wir weiter für ihn tun können. Zuerst müssen wir ihn vor den anderen verbergen. Nicht jeder kann verzeihen …«
    So badete sich also Chang hinter dem Haus in einem großen Holzfaß und rieb den verkrusteten Schmutz von seiner Haut. Huang schrubbte ihm den Rücken ab, und als Chang den Kopf ins Wasser steckte und dann wieder auftauchte, sagte er: »Jetzt hättest du mich ertränken können. Du hättest nur meinen Kopf unter dem Wasser halten müssen.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Du hast hundert Gründe, Huang.«
    »Aber ich finde keinen, der mich unmenschlich macht.«
    Später saß Chang im Zimmer, hatte eine blaue Hose und ein gestreiftes Hemd von Huang angezogen, trug an den Füßen aus Reisstroh geflochtene Sandalen und trank genußvoll eine große Tasse grünen Tee. »Was wird Lida sagen?« fragte er immer wieder. »Ob sie mich erkennt? Ich erkenne mich ja selbst nicht, wenn ich in einen Spiegel blicke. So klein war sie damals. Sie hat keine Erinnerung mehr an mich. Wie groß und stark war ich in meiner Uniform! Sag selbst, ich war eine imponierende Erscheinung.«
    »Mehr eine gefürchtete, Chang.«
    »Die Große Revolution. Sie hat uns alle verändert.«
    »Nicht alle.«
    »Das stimmt – dich nicht.«
    »Elf Millionen Menschen habt ihr umgebracht, aber wir sind über eine Milliarde. Wer könnte China jemals erobern?«
    »Sie haben alle Maos Weisheiten wiederholt.«
    »Mit dem Mund. Aber was eine Zunge bewegt, braucht nicht ein Herz zu bewegen.«
    So gingen die Reden hin und her, bis sie von draußen das Schnaufen und den schweren Gang eines Büffels hörten.
    Huang hob den Kopf und sah Chang erwartungsvoll an. »Das ist Lida. Sie kommt vom Feld zurück.«
    Jinvan brachte den großen eisernen Suppentopf und stellte ihn auf den Tisch. In der Brühe schwammen der Kohl, Tofustückchen und Hühnerfleisch und vereinigten sich zu einer kräftigen Suppe. In einem Holzkübel dampfte der Reis, Schälchen mit Sojasoße und einer roten Pfeffersoße standen auf dem Tisch, auf dem Herd kochte in einem Topf ein Hammelkopf, von dem man später das Fleisch loslösen würde. Es war ein gutes Essen, und Jinvan verstand es, alle Speisen so zu würzen, daß sie scharf waren, aber dennoch nicht in der Kehle brannten.
    Gierig blickte Chang auf die duftenden Speisen; man sah ihm an, wie der Hunger in ihm nagte und daß er seit Tagen kein vernünftiges Mahl eingenommen hatte. Er spielte nervös mit den Eßstäbchen, und Huang sagte, wohl wissend, wie Changs Magen nach dem Essen gierte: »Wir warten, bis Lida aus dem Stall kommt, sich gewaschen und umgezogen hat.«
    Chang nickte, legte die Stäbchen neben seine Reisschale und sagte: »Wenn sie mich nicht erkennt, erklärt ihr nicht, wer ich bin. Ein Wanderer, dem ihr für heute Quartier gegeben habt, sonst nichts.«
    Sie hörten Lida nebenan im Stall rumoren, dann klatschte Wasser über ihren Körper, und dabei sang sie leise eine Miao-Volksweise, was bewies, daß sie mit dem Tag und ihrer geleisteten Arbeit zufrieden war.
    »Sie hat eine schöne Stimme«, sagte Chang. »Habt ihr nie daran gedacht, sie bei einem Gesangslehrer vorsingen zu lassen? Die Künstler verdienen gut bei uns, gerade die Künstler, wegen des Auslandes, das zuhört, versteht ihr? Wirklich eine schöne Stimme und viel zu schade, daß sie einen Wasserbüffel antreibt und in der Sonne eintrocknet.«
    »Meinst du das wirklich?« fragte Huang.
    »Die volle Wahrheit.«
    »Vielleicht kann man sie damit in die Stadt locken. Lida eine Künstlerin, eine, die auf der Bühne singt, im Radio, im Fernsehen.« Huangs Augen glänzten vor Stolz.
    Aber Jinvan dachte nüchterner, und das war selten, denn meistens war es Huang, dessen Gedanken immer nützlich gewesen waren. »Und was wird aus der

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