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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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hinter mich gelangen, ohne Paulie allzu nahe zu kommen. Als wäre er zu allem imstande. Ich wusste, wie ihnen zumute war. Obwohl er zwei gebrochene Arme hatte, beobachtete ich ihn, als hinge mein Leben davon ab. Wäre es ihm gelungen, mich zu rammen und umzuwerfen, hätte er mich mit den Knien erdrücken können. Ich bezweifelte, dass die Colts irgendwas gegen ihn ausrichten würden.
    »Vorwärts«, wiederholte ich.
    Er setzte sich in Bewegung, begann die Zufahrt hinaufzugehen. Ich folgte ihm mit zehn Schritt Abstand. Richard und Elizabeth wichen noch weiter von der Straße zurück. Als wir an ihnen vorbeigingen, schlossen sie sich mir an. Zuerst wollte ich sie auffordern zurückzubleiben. Doch dann sagte ich mir, dass sie es – jeder auf seine Weise – verdient hatten, Paulies Ende mitzuerleben.
    Er folgte der bogenförmigen Zufahrt. Schien zu wissen, wo ich ihn haben wollte, sich aber nichts daraus zu machen. Wir kamen am Garagenblock vorbei, ließen das Haus hinter uns und gingen zu den Felsen. Ich achtete darauf, den Abstand nie kleiner als zehn Schritt werden zu lassen. Ich hinkte etwas, weil der Absatz meines rechten Schuhs fehlte. Der Wind blies mir ins Gesicht. Die aufgewühlte See brandete donnernd an den Strand. Paulie ging bis zu der Felsspalte, in die Harley und ich den Leichensack geleert hatten. Dort blieb er stehen und drehte sich dann nach zu mir um.
    »Ich kann nicht schwimmen«, sagte er. Er sprach undeutlich, weil ich ihm ein paar Zähne ausgeschlagen hatte. Der Wind heulte, plusterte seine Haare auf und ließ ihn noch größer erscheinen. Gischt hüllte ihn ein und durchnässte auch mich.
    »Das brauchst du auch nicht«, antwortete ich.
    Ich schoss ihn sechsmal in die Brust. Alle sechs Kugeln durchschlugen seinen Oberkörper. Große Klumpen von Fleisch und Muskeln folgten ihnen ins Meer. Danach zielte ich sechsmal auf seinen Kopf, bis eigentlich nichts mehr von ihm übrig war. Ein Kerl, zwei Revolver, zwölf laute Schussknalle, Munition für elf Dollar vierzig. Er klatschte rückwärts ins Wasser und ließ es hoch aufspritzen. Das Meer war aufgewühlt, aber es herrschte Ebbe. Die Strömung nahm ihn nicht wie erhofft mit sich. Er blieb auf der Oberfläche des Wassers und trieb zwischen den Felsen hin und her. Um ihn herum verfärbte sich der Atlantik rosa. Zuletzt trieb er langsam aufs Meer hinaus, von der Dünung heftig auf und ab geworfen. So schwamm er eine Weile, trieb fünf Meter weit. Allmählich zehn. Eine Woge drehte ihn auf den Bauch. Dabei blieb er dicht unter der Wasseroberfläche.
    Unter seiner Jacke hatte sich Luft gefangen, die ihm Auftrieb verlieh und nur langsam durch die zwölf Einschuss- und Austrittslöcher entwich. Ich legte die leer geschossenen Revolver auf die Felsen, ging in die Hocke und übergab mich. Richard und Elizabeth hielten sieben bis acht Meter Abstand von mir. Ich wusch mir das Gesicht mit Salzwasser. Schloss die Augen. Ließ sie lange zu. Als ich sie wieder öffnete und aufs Meer hinaussah, war er verschwunden.
    Ich blieb vorerst in der Hocke. Schöpfte tief Luft. Sah auf meine Armbanduhr. Es war erst elf Uhr. Mein Kopf war leer. Doch allmählich gelang es mir, wieder klar zu denken. Ich fing an, die Dinge zu sortieren. Machte mich daran, die veränderte Sachlage abzuwägen. Da Paulie so frühzeitig ausgeschieden war, rechnete ich mir aus, dass das Endspiel schneller und leichter geworden sei.
    Doch auch darin täuschte ich mich.
     
    Meine Schwierigkeiten begannen damit, dass Elizabeth Beck nicht wegwollte. Ich forderte sie auf, den Cadillac zu nehmen und schleunigst mit Richard abzuhauen. Aber sie weigerte sich.
    »Dies ist mein Haus«, sagte sie.
    »Bald wird’s ein Kriegsschauplatz sein«, erwiderte ich.
    »Ich bleibe.«
    »Das kann ich nicht zulassen.«
    »Ich werde nicht gehen«, widersprach sie, »nicht ohne meinen Mann.«
    Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte. Richard näherte sich mir, blickte aufs Meer hinaus und dann zu mir.
    »Das war cool«, sagte er. »Sie haben ihn besiegt.«
    »Nein«, entgegnete ich. »Er hat sich selbst besiegt.«
    In der Luft über uns kreischten Seemöwen. Sie kämpften gegen den Wind an, kreisten über einer Stelle, die etwa vierzig Meter vom Strand entfernt war. Richard beobachtete sie ausdruckslos.
    »Reden Sie mit Ihrer Mutter, sagte ich. »Sie müssen sie davon überzeugen, dass sie von hier verschwinden muss.«
    »Ich bleibe«, wiederholte Elizabeth.
    »Ich auch«, sagte Richard.
    Die beiden standen unter einer

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