Der Judas-Code: Roman
verbinden. Können Sie gehen?«
»Solange sie mir nicht auch noch ins Bein schießen...«, erwiderte Graff mit zusammengebissenen Zähnen.
Sie krochen durch den Rankenvorhang in den Gang hinein. Monk ließ Graffs Ellbogen los. Der Mann zitterte, eilte aber folgsam hinter Monk die finstere Treppe hoch.
Sie hörten, wie sich der Bug des Boots knirschend auf den Sand schob. Die Piraten stimmten ein Triumphgeheul an, da sie glaubten, ihre Opfer säßen in der Falle. Monk stapfte weiter die Wendeltreppe hoch und tastete sich mit den Händen voran.
Die Piraten würden den Gang bald entdeckt haben. Würden sie ihnen folgen oder einfach wieder verschwinden? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Taschenlampen flammten auf... gedämpfte Befehle waren zu vernehmen.
Monk eilte weiter.
Die Stimmen klangen zornig.
Er hatte sie richtig wütend gemacht.
Allmählich machte die Finsternis einer Art grauen Düsternis Platz. Die Wände wurden erkennbar. Sie wurden schneller. Graff murmelte unverständlich vor sich hin. Vielleicht betete er oder fluchte... Monk war es gleich, solange es nur funktionierte.
Endlich tauchte vor ihnen das Ende der Treppe auf. Sie sprangen in den Regenwald hinaus, der bis an die Klippen heranreichte. Monk schritt energisch aus, froh darüber, dass die dichte Vegetation ihnen Deckung gab. Allerdings musste er feststellen, dass die Todeszone sich nicht auf den Strand beschränkte. Der Waldboden war übersät mit toten Vögeln. Unmittelbar vor ihm lag ein kleiner pelziger Flughund, zerknittert wie ein abgestürzter Kampfjet.
Doch nicht alle Urwaldbewohner waren tot.
Monk blickte nach vorn. Auf dem Waldboden wogte eine rote Flut. Doch es war kein Bakterienschaum. Zahllose Krabben bedeckten jeden einzelnen Quadratzentimeter. Einige klammerten sich an Baumstämmen und Ranken fest.
Hier also steckten die Roten Krabben der Weihnachtsinsel.
Monk erinnerte sich an seine vorbereitenden Studien. Solange sie nicht gereizt wurden, waren die Krabben das ganze Jahr über harmlos. Bei der jährlichen Wanderung aber kam es vor, dass sie mit ihren messerscharfen Zangen sogar die Reifen vorbeifahrender Wagen zerschnitten.
Monk wich einen Schritt zurück.
Der Ausdruck gereizt beschrieb den Zustand der Krabben zutreffend. Sie krabbelten aufgeregt übereinander und schnappten mit ihren Zangen. Sie waren im Fressrausch.
Jetzt war Monk klar, weshalb am Strand keine Krabben zu finden gewesen waren. Weshalb sollten sie die Klippen hinunterklettern, wenn es hier oben genug zu fressen gab?
Die Krabben machten sich nicht nur über die toten Vögel und Flughunde her, sondern auch über ihre eigenen Artgenossen. Es war eine kannibalische Fressorgie. Als sie die beiden Männer entdeckten, reckten sie drohend die Zangen und klapperten damit.
Willkommen auf der Party!
Aus dem Felsengang drangen aufgeregte Rufe.
Die Piraten hatten das Ende der Treppe fast erreicht.
Graff, die Hand an der Schulter, trat einen Schritt vor. Eine große Krabbe, die sich unter einem Farnwedel versteckt hatte, versuchte seinen Zeh zu packen und durchtrennte dabei mühelos das Plastik des Schutzanzugs.
Der Arzt wich zurück und murmelte etwas. Es war das Mantra, das er auch auf der Treppe ständig wiederholt hatte. Jetzt verstand ihn Monk... und pflichtete ihm im Stillen bei.
»Wir hätten dem Buddha den Bauch streicheln sollen.«
3
Hinterhalt
5. Juli, 00:25
Takoma Park, Maryland
»Was zum Teufel geht hier vor?«
»Ich weiß auch nicht, Dad.« Gray beeilte sich, zusammen mit seinem Vater die Garagentür zu schließen. »Aber ich werd’s schon noch herausfinden.«
Zuvor hatten sie das Motorrad der Agentin in die Garage gezogen. Gray hatte es nicht im Freien liegen lassen wollen. Er wollte, dass nichts auf Seichans Anwesenheit hindeutete. Bislang hatte sich der Schütze noch nicht blicken lassen, doch das bedeutete nicht, dass ihnen keine Gefahr drohte.
Gray eilte zu seiner Mutter. Als Biologieprofessorin an der George Washington University hatte sie Aufbaukurse für Medizinstudenten gehalten. Ihre Kenntnisse reichten aus, um Seichans Bauchschuss zu verbinden und die Blutung zu stillen.
Seichan verlor immer wieder das Bewusstsein.
»Anscheinend hat sie einen glatten Durchschuss«, sagte Grays Mutter. »Aber sie hat eine Menge Blut verloren. Ist die Ambulanz schon unterwegs?«
Kurz zuvor hatte Gray mit seinem Handy Hilfe herbeigerufen - doch er hatte nicht die übliche Notrufnummer gewählt. Seichan konnte man nicht in ein
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