- Der Jünger des Teufels
diesen Augenblicken der Ekel, ins Grab zu steigen, oder die
Erkenntnis, dass Gemal noch lebte, mehr Angst einjagte.
»Verdammt, Kate, komm jetzt …«, drängte Josh.
Notgedrungen rückte ich näher an den Rand des Grabes heran,
und Josh zog mich in das Loch. Der Verwesungsgestank erregte meine Übelkeit. Josh
riss die Plane über unsere Köpfe, worauf wir in Dunkelheit gehüllt wurden. Sein
Gesicht konnte ich kaum erkennen, obwohl ich auf ihm lag. Er bewegte sich auf der
Suche nach einer halbwegs erträglichen Lage hin und her. Vermutlich drückte ich
ihn mit meinem Gewicht nach unten.
»Bin ich zu schwer?«, fragte ich ihn.
»Pssst«, flüsterte er. Der Regen tropfte durch ein Loch in
der Plane und rann über unsere Gesichter. Ich schmiegte mein Gesicht an Joshs
Nacken, und als mir der Moschusduft seiner Seife in die Nase stieg, war ich
dankbar, dass dieser Duft den Gestank des verwesten Tierkadavers unter uns ein
wenig übertünchte.
»Sei still, Kate«, flüsterte er.
Ich spürte, dass etwas über mein linkes Bein krabbelte.
Eine Spinne? Eine Ratte? Als ich schwere Schritte auf dem schlammigen Boden
hörte, erschauderte ich. Ich hatte das Gefühl, als würde der Friedhofsbesucher
genau über uns hinwegschreiten. Durch ein winziges Loch in der Plane sah ich
den silbernen Strahl seiner Taschenlampe. Das Licht fiel in unser Versteck. Als
ich instinktiv den Kopf abwandte, fiel mein Blick auf den von Würmern
zerfressenen Kopf des Widders neben Joshs Schulter. Ehe ich zu würgen begann,
presste Josh eine Hand auf meinen Mund.
Sekunden später war das Licht verschwunden, und die
Schritte des Mannes entfernten sich. Dennoch rührten wir uns nicht. Fünf
Minuten später wurde ein Wagen angelassen und fuhr davon. »Steh langsam auf«,
sagte Josh.
Ich krallte mich in die Seiten des Grabes und zog mich
hoch, um Josh Platz zu machen. Er kletterte aus dem Grab und riss die Plane
weg. »Eine unvergessliche Nacht. Warte hier. Ich sehe rasch nach, ob unser
Freund tatsächlich weg ist.«
»Ich komme mit.«
»Nein, es ist sicherer, wenn ich allein gehe.« Josh kletterte
aus der Grube und verschwand zwischen den Grabsteinen. Mich ließ er allein in
dem stinkenden Grab zurück. Ich konnte meine Angst und meinen Ekel kaum im Zaum
halten und wäre am liebsten aus dem Grab geklettert. Mir fiel ein Stein vom
Herzen, als Josh kurz darauf zurückkehrte. »Alles klar. Die Luft ist rein. Ich
weiß zwar nicht, wer der Bursche war, aber er ist wieder weg.«
Josh reichte mir die Hand und zog mich aus dem Grab. Ich sah
die roten Rücklichter eines Wagens in der Ferne verblassen. Als ich ins Grab
starrte, in dem Gemals Leichnam hätte liegen sollen, traf mich mit voller Wucht
ein Gefühl des Entsetzens und der Abscheu. Josh legte eine Hand auf meinen
Rücken. »Es ist vorbei. Geht es dir jetzt besser?«
Ich schaute auf das Grab. »Nein. Gemal lebt noch, und
nichts könnte schlimmer für mich sein. Vermutlich ist er der gesuchte Killer.«
Josh kniete sich auf die Erde und sammelte die Geräte ein.
»Das wissen wir nicht genau. Sicher, irgendwas geht hier
nicht mit rechten Dingen zu, aber du solltest trotzdem keine voreiligen Schlüsse
ziehen, Kate. Auch wenn du mich jetzt für einen ungläubigen Thomas hältst, kann
ich kaum glauben, dass Gemal die Henker hereingelegt haben soll.«
»Es passt doch alles zusammen!«
»Kate, nimm Vernunft an. Du bist viel zu aufgeregt, um
jetzt vernünftige Schlüsse zu ziehen.«
Vielleicht hatte Josh Recht. Ich starrte auf den toten
Widder.
»Wir müssen das Grab wieder zuschütten, bevor hier jemand auftaucht.«
»Du willst doch nicht die ganze Erde wieder ins Grab
schaufeln?«
»Stimmt eigentlich. Ich möchte, dass die Kollegen sich das ansehen.
Vielleicht glauben sie mir dann. Wir legen nur die Plane übers Grab, Josh, und
dann fährst du zur Arbeit, sonst fragt sich Stone, wo du bleibst. Er ist
bestimmt schon misstrauisch geworden.«
»Und was hast du vor?«
»Ich treffe mich mit Frank und sage ihm, was wir gefunden haben.
Weißt du, was mich noch beunruhigt? Die Behörden haben nicht öffentlich bekannt
gegeben, wo Gemal begraben werden sollte. Lou hat mir gesagt, wo das Grab sich
befindet, nachdem er von der Strafvollzugsbehörde darüber informiert worden war.«
»Hm, das ist allerdings ein Grund zur Beunruhigung, aber wir
dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren. Zunächst halten wir an unserem Plan fest
und warten ab.« Josh kletterte noch einmal ins Grab, legte den Deckel wieder
auf
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