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Der Junge aus dem Meer

Der Junge aus dem Meer

Titel: Der Junge aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Foto nach dem anderen vom Tisch. „Häuser“, sagte er schließlich. „Häuser, die abgebrannt sind.“
    „Ja, vier abgebrannte Häuser“, rief der Kriminalkommissar. „Abgebrannt hier auf der Insel. Was hast du damit zu tun?“
    „Ich weiß es nicht“, murmelte der schwarzhaarige Junge hilflos.
    „Sehr interessant“, stellte Herr Michelsen fest. „Du gibst also immerhin zu, daß du es gewesen sein könntest.“
    „Ja, ich kann es gewesen sein, und ich kann es nicht gewesen sein.“ Der Junge beugte sich über den Tisch und fing an zu schluchzen. „Weil ich mich an überhaupt nichts erinnern kann.“
    „Glauben Sie ihm doch endlich“, wagte Paul Nachtigall einzuwerfen.
    „Aber vielleicht ist das alles gar nicht wahr“, rief jetzt der Kriminalkommissar, ohne sich stören zu lassen. „Vielleicht funktioniert dein Gedächtnis ganz ausgezeichnet, und du spielst uns hier nur eine Oper vor. Man kann dir ja nicht durch die Stirn gucken. Wir müssen dir dein Märchen glauben, und wenn du uns noch so...“
    „Schluß jetzt“, unterbrach Professor Stoll und sprang auf. „Ich wollte Sie nicht daran hindern, Ihr Verhör so zu führen, wie Sie es für richtig und auch notwendig halten. Aber jetzt gehen Sie zu weit. Als Arzt trage ich im Augenblick die Verantwortung für den Jungen. Bitte lassen Sie ihn jetzt in Ruhe.“
    „Ganz im Gegenteil“, stellte Kriminalkommissar Michelsen fest. „Wir werden ihn mitnehmen.“
    Der junge Kriminalassistent Lüders blickte von seinem Schreibblock auf und zeigte ein vorwurfsvolles Gesicht, so als sei er im Augenblick mit seinem Chef ganz und gar nicht einverstanden.
    „Haben Sie einen Haftbefehl?“
    „Den besorge ich nachträglich, wenn Sie gestatten“, knurrte Herr Michelsen. „Kleine Fische.“
    „Und mit welcher Anklage?“
    „Vorläufig wegen Brandstiftung“, erklärte der Kriminalkommissar. „Aber ich bin überzeugt, daß noch eine ganze Latte Vorstrafen dazu kommt, wenn wir erst einmal rausgekriegt haben, wo er weggelaufen ist.“
    „Herr Michelsen, ich kenne Sie ja nicht wieder“, sagte Großmutter Kubatz. „Sie glauben doch nicht im Ernst, daß dieser Junge der gesuchte Feuerteufel ist?“
    „Und weshalb nicht, wenn ich fragen darf?“
    „Sie brauchen ihn doch nur anzusehen“, erwiderte die Großmutter. „Sieht so ein Mensch aus, der Häuser anzündet?“
    „Ich habe Burschen erlebt, die mit den unschuldigsten Engelsgesichtern Banken überfallen haben“, sagte der Kriminalkommissar grimmig.
    „Übrigens können Sie ihn gar nicht mitnehmen“, erklärte Großmutter Kubatz plötzlich. Sie schlug in ihrem Sessel die Beine übereinander und warf den Kopf zurück.
    „Wollen Sie mir das bitte genauer erklären?“ fragte Herr Michelsen neugierig.
    „Nach altem und gutem Recht auf der Insel gehört Strandgut dem, der es findet“, erwiderte Großmutter Kubatz. „Und ein Mensch, der kein Gedächtnis hat, ist Strandgut. Beweisen Sie mir das Gegenteil.“
    Zwei Sekunden lang blickte Herr Michelsen sprachlos zu der Großmutter, die in ihrem Ohrensessel thronte und wie ein Feldherr nach einer gewonnenen Schlacht um sich blickte. Es fehlte eigentlich nur noch, daß sie kerzengerade auf einem Pferd saß.
    Und damit war die ganze Gewitterstimmung Hals über Kopf verflogen.
    Kriminalkommissar Michelsen stützte sich mit seinen ganzen Einszweiundneunzig auf die Fensterbank und lachte aus vollem Hals. Und alle anderen lachten mit. Das heißt, die Glorreichen Sieben wieherten mehr oder weniger, und Professor Stoll mußte sein Taschentuch herausholen, weil er zwischendurch einen Hustenanfall bekam. Der junge Kriminalassistent grinste nur, und Fräulein Zobelmann hätte am liebsten in die Hände geklatscht. Selbst Alexander hatte sich inzwischen erholt und ließ sich von Karlchen Kubatz und Paul Nachtigall anstecken.
    „Wenn ich jetzt ganz ehrlich sein darf“, sagte Kriminalkommissar Michelsen, nachdem sich das allgemeine Gelächter wieder gelegt hatte. „Also ich hatte natürlich mit keinem Auge an eine Verhaftung gedacht. Man kann doch so einen Jungen nicht einfach in irgendeine Gefängniszelle sperren.“ Er setzte sich jetzt wieder in seinen Sessel und nahm einen Zug aus seiner Zigarre. „Aber die Drohung mit einer Verhaftung war doch meine letzte Karte. Leider zwingt mich mein Beruf manchmal dazu, den wilden Mann zu spielen. Oft bekommen wir nur so ein Geständnis. Das ist schlimm genug, aber es ist nun mal so.“ Er blickte jetzt durch den

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