Der Junge aus dem Meer
transportieren.
„Ein Regen wie auf Kommando“, kicherte Großmutter Kubatz. Sie rieb sich die Hände und tanzte vergnügt von einem Bein auf das andere.
Das Haus Seestern hatte sich vollzählig, bis auf den sommersprossigen Florian, wieder im Erdgeschoß versammelt, und die Fensterläden waren aufgemacht worden.
Draußen verließen gerade die letzten Autos durch das weiße Holztor die Mulde. Dort, wo sie gestanden hatten, platzte der Regen jetzt nur noch auf herumliegende Pappbecher, zerknülltes Papier und weggeworfene Zigarettenschachteln.
Aber schon kurz darauf brach die Sonne durch die Wolken, ein Regenbogen spannte sich quer über die Insel, und dann war der Himmel wieder so blau, wie es sich für einen Feriensommer eigentlich auch gehört.
„Noch drei Stunden“, stellte Herr Kubatz fest. „Wenn wir dann losfahren, erreichen wir bequem Ihren Zug, Herr Professor.“ Der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten hatte sich selbstverständlich angeboren, das Schildkrötengesicht und Alexander in seinem roten Wagen nach Westerland zu bringen.
„Wir würden sehr gerne mitkommen“, meinte Paul Nachtigall im Namen der Glorreichen Sieben.
„Abschiede auf Bahnhöfen sind abscheulich“, stellte Großmutter Kubatz fest. „Wir werden das alle gemeinsam vor dem Haus Seestern erledigen, dann können wir uns gegenseitig behilflich sein, und bis dahin sollte sich Alexander in sein Bett legen. Er sieht müde aus und hat immerhin die Reise vor sich.“ Sie nahm den schwarzhaarigen Jungen beim Arm, als wollte sie mit ihm Spazierengehen. „Übrigens, was mich betrifft, ich haue mich jetzt auch aufs Ohr. Diese Presseleute haben mich ganz fertiggemacht.“
Und so geschah es denn auch.
Kurz darauf lag Alexander, der in Wirklichkeit vielleicht Peter hieß, in seinem Bett, und Großmutter Kubatz schlief auf ihrem Sofa. Sonst war das Haus leer. Florian war mit dem Pferdewagen unterwegs, und Fräulein Emma Zobelmann ließ sich von ihm bis zum Dorf mitnehmen. Dort fing sie in der Drogerie gegenüber der Post mit ihren Besorgungen an.
Die Glorreichen Sieben hatten sich die Badehosen angezogen und ihre Handtücher aus den Zimmern geholt. Der Regen hatte die Badegäste vertrieben, so daß sie jetzt mutterseelenallein nebeneinander am Strand lagen. Das Ehepaar Kubatz und die beiden Gelehrten wanderten inzwischen durch die Dünen.
„Wie frisch die Luft nach dem Regen ist“, bemerkte der ellenlange Professor Stoll. Er blieb stehen und atmete tief.
Auch das Schildkrötengesicht blieb jetzt stehen und blickte durch seine dicken Brillengläser aufs Meer hinaus. „Ich kann dich schon verstehen, Erich“, meinte er. „Warum lass’ ich eigentlich meinen Laden nicht einfach sausen und lebe genauso wie du hier auf der Insel!?“
„Schon nach drei Wochen würdest du davonlaufen, Jürgen“, lachte Professor Stoll. „Du brauchst deine Klinik wie ein Fisch das Wasser. Mach dir nichts vor.“
„Ja, leider ist das so.“ Der zierliche Herr mit dem etwas zu großen Kopf lächelte, und dann wanderte er weiter.
Vom Festland kam heute schon die zweite Wolkenwand zur Insel herüber, und die Sonne versank langsam hinter den Dünen, als Großmutter Kubatz aus dem Haus Seestern stürzte und rief: „Er ist weg!“
Florian war mit dem Pferdewagen aus dem Dorf zurückgekommen und half gerade Fräulein Emma Zobelmann beim Absteigen.
„Wer ist weg?“ fragte der flachsblonde Junge mit den Sommersprossen. Dabei hielt er Fräulein Zobelmann noch zwischen Wagenbank und Grasboden in der Luft.
Aber schon einen knappen Augenblick später ließ er Fräulein Zobelmann und seinen Pferdewagen stehen, wo sie gerade standen. Er galoppierte in langen Sätzen durch die Mulde, über die Dünen und zum Strand. Beinahe postwendend kam er mit den Glorreichen Sieben zurück. Er hatte sie mitten aus der Brandung geholt, und ihre Handtücher lagen noch irgendwo am Strand.
Naß , wie sie waren, starrten sie im Haus Seestern auf das leere Bett, und dann trabten sie wieder ins Erdgeschoß.
„Weg war er“, schluchzte Großmutter Kubatz. „Verschwunden, wie meine Faust, wenn ich die Hand aufmache.“
Eine Weile standen die Glorreichen Sieben wie festgefroren. Bis der sommersprossige Florian die Tür aufriß . Zuerst mußte er einmal leer schlucken, weil er ganz aufgeregt war, und dann japste er: „Mein Fahrrad ist geklaut.“ Er schluckte ein zweites Mal und konnte dann erst ergänzen: „Ich bringe gerade die Pferde in den Stall, und da sehe
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