Der Junge aus dem Meer
bedauerlich, daß Sie gerade im entscheidenden Augenblick gestört wurden. Bestimmt hätten Sie noch mehr erfahren. Wir sollten den Versuch bei mir in der Klinik wiederholen.“
Herr Landauer erklärte sich dazu gerne bereit. „In der kommenden Woche sind wir ohnehin an zwei Tagen ohne Vorstellung, und wenn sich bis dahin seine Eltern nicht gemeldet haben und auch sonst keine Hinweise vorliegen, die Ihnen weiterhelfen — wie gesagt, ich stehe gern zur Verfügung.“
Die beiden Herren tauschten ihre Telefonnummern aus, und dann gab der Mann mit den grüngrauen Eulenaugen dem schwarzhaarigen Jungen einen kleinen Klaps auf die Schulter: „Na, bist du wieder munter, mein Sohn?“
„Ja, ich bin wieder munter“, wiederholte Alexander leise.
„Es sieht aber nicht so aus“, bemerkte Professor Schreiber nachdenklich.
„Hast du Kopfschmerzen?“ wollte Herr Landauer wissen.
„Nein, nur noch ein wenig müde bin ich“, erwiderte der schwarzhaarige Junge, der vielleicht in Wirklichkeit Peter mit Vornamen hieß.
„Wenn ich diese Presseleute nur auf den Mond katapultieren könnte“, überlegte das Schildkrötengesicht. „Aber ich fürchte, wir dürfen sie nicht länger sitzenlassen. Was meinst du?“ Dabei blickte er zu Alexander. Der Junge versuchte jetzt sogar zu lächeln. „Je schneller wir es hinter uns bringen, desto besser“, meinte er.
Und schon ein paar Minuten später saß Herr Albert Landauer wieder im Sattel und ritt neben Florian die Abkürzung zum Dorf zurück. „Es macht richtig Spaß“, stellte er fest, als die Pferde, bis über die Hufe im Wasser, durch das Watt trabten.
„Sie sind ja auf einmal so aufgekratzt“, rief Florian lachend, und seine semmelblonden Haare wehten im Wind.
„Stimmt, ich fühle mich pudelwohl“, rief der Mann mit den Eulenaugen zurück. „Aber wir müssen uns beeilen, es regnet bald.“ Tatsächlich kam vom Festland her eine dunkle Wolkenwand auf die Insel zu.
Alexander stand zur selben Zeit bereits vor den Kameras und den Mikrofonen der aus allen Himmelsrichtungen angereisten Fernsehreporter, Zeitungsleute und Fotografen. Sie drängelten sich um ihn herum wie Hausfrauen bei einem Sommerschlußverkauf . Sie gingen in die Hocke, stellten sich auf die Fußspitzen und schubsten sich gegenseitig mit den Ellenbogen. Dabei ließen sie pausenlos die Verschlüsse ihrer Apparate klicken und schossen ein Gewitter von Blitzlichtern ab.
„Ist es zu anstrengend?“ fragte Professor Schreiber zwischendurch.
Alexander schüttelte den Kopf. Für ihn wiederholte sich eigentlich nur, was er ja schon mit Herrn Bissegger von der ZENTRALEN PRESSE-AGENTUR erlebt hatte. Nur daß es dieses Mal ein paar Dutzend Bisseggers waren und das Fernsehen mit seinen Kameras und Mikrofonen dazugekommen war. Und dann gab es heute noch einen zweiten Unterschied: Alles spielte sich wie hinter einem Schleier ab, und die Stimmen kamen auf ihn zu wie ein Echo im Gebirge. Der schwarzhaarige Junge blickte beinahe verwundert in die vielen Gesichter und Objektive.
„Ist ja sagenhaft gesprächig, dieser Knabe“, rief einer der Fernsehleute enttäuscht, weil er keine Antwort auf seine Fragen bekam.
„Wie wär’s denn ausnahmsweise mal mit einem Lächeln?“ schlug einer der Fotografen vor. Dabei zeigte er seine Zähne, um anzudeuten, was er meinte.
„Er ist tatsächlich wie verwandelt“, meinte Paul Nachtigall beklommen.
„Als hätte man ihn mit Schlaftabletten betäubt“, stellte Emil Langhans fest.
Karlchen Kubatz hatte den Glorreichen Sieben inzwischen berichtet, was Herr Albert Landauer drüben in den Dünen in Erfahrung gebracht hatte.
„Hallo, Peter“, rief deshalb Fritz Treutlein versuchsweise. Aber der Junge mit den schwarzen Haaren rührte sich nicht.
„Nur noch fünf Minuten“, rief jetzt Professor Schreiber und blickte dabei durch seine dicken Brillengläser auf seine Armbanduhr. „Kommen Sie bitte zum Ende, meine Herren.“
Aber diese Mahnung hätte sich der kleine Professor aus Hamburg eigentlich sparen können, denn fast im selben Augenblick donnerte es kurz zweimal nacheinander, und gleich darauf fiel ein Platzregen vom Himmel, der sich gewaschen hatte.
Im Handumdrehen war alles vorbei.
Die Fotografen sprangen in die Autos, um ihre Kameras in Sicherheit zu bringen, und die Fernsehleute schwirrten fluchend durcheinander, suchten ihre Kabel zusammen und kamen mit Segeltuchplanen angeflitzt, um ihre Kameras und Mikrofone einigermaßen trocken in die Wagen zu
Weitere Kostenlose Bücher