Der Junge aus dem Meer
deine Stimme ist, die ich höre“, erwiderte Professor Stoll. „Aber sonst bist du wie ausgewechselt.“
„Sie kennen mich eben nur als Schlafwandler“, lachte der Junge am Telefon in List. „Und das ist jetzt vorbei.“
„Es sieht ganz so aus’’, antwortete Professor Stoll, und dann sagte er noch: „Also, die beiden Herren sind unterwegs und holen dich ab. Sie müssen in zwanzig Minuten bei dir sein. Ich lege jetzt auf und alarmiere Kommissar Michelsen. Bis später.“
Aber da griff Paul Nachtigall noch schnell nach dem Hörer „Hallo, Alexander...“
„Ab sofort wieder Peter.“
„Schön, wenn du sicher bist, daß das dein endgültiger Name bleibt“, meinte Paul Nachtigall. „Alles in Ordnung, Peter?“
„Ich freue mich schon, bis ich euch wiedersehe, ihr Knalltüten“, rief der schwarzhaarige Junge am anderen Ende der Leitung. „Aber es kommt jetzt auf jede Minute an!“
„Es scheint wirklich alles in Ordnung zu sein“, rief Paul Nachtigall zurück und grinste dabei. Dann legte er auf.
Anschließend passierten mehrere Dinge gleichzeitig oder kurz hintereinander.
Weil die Telefonnummer der Kriminalpolizei in Westerland ständig belegt war, radelte Florian in seinem gelben Anorak durch den Regen zum Polizeirevier im Dorf.
Professor Stoll meldete ein Ferngespräch nach Dänemark an. „Ja, bitte das Hotel Lakolk ...“ Immer wenn sich eine Pause ergab, legte er seine Hand über die Sprechmuschel und erzählte flüsternd so zwischendurch, was ihm der Junge, der jetzt wohl endgültig Peter hieß, noch an Einzelheiten berichtet hatte. Bis er schließlich laut in den Apparat rief: „Ja, Voranmeldung Herr oder Frau Grämlich, bitte schön.“
Als gleich darauf Polizeiwachtmeister Küselwind zur Tür hereinschneite, sah er aus, als käme er mit seiner Uniform direkt aus der Badewanne. Er wischte sich mit dem Ärmel die Regentropfen aus dem Gesicht und sagte: „Das ist ja ein tolles Ding, da fliegt einem doch glatt der Draht aus der Mütze!“
„Der Wachtmeister hat auch keine Verbindung mit Westerland bekommen“, meinte Florian, der genauso durchnäßt war.
„Das darf nicht wahr sein“, schimpfte Karlchen Kubatz. „Eine Kriminalpolizei, die nicht zu erreichen ist, wenn man sie braucht!“
„In den Zeitungen steht es anders, stimmt schon“, gab Herr Küselwind ein wenig kleinlaut zu. „Aber das ist die nackte Wirklichkeit.“ Daraufhin gab er zu verstehen, daß er sich jetzt auf sein Rad setzen würde, um persönlich nach Westerland zu gondeln. „Es ist ja auch möglich, daß das Gewitter in die Leitung gefahren ist.“
„Und dieser feine Herr Landauer mit seinen Eulenaugen türmt inzwischen seelenruhig aufs Festland“, kickste Emil Langhans. Immer wenn er sich aufregte, war sein Stimmbruch besonders deutlich zu hören.
„Das versalzen wir ihm“, gab Paul Nachtigall bekannt. „Los, hauen wir ihn in die Pfanne!“
„Er müßte bald seinen Auftritt haben“, überlegte Karlchen Kubatz und blickte auf seine Armbanduhr.
„Die Künstler wollen heute nach der Vorstellung noch den letzten Zug nehmen“, erinnerte sich Professor Stoll. „Dieser Direktor Morgano hat es uns erzählt, und Landauer wohnt in der ,Pension Möwenblick’, hier liegt noch der Zettel mit seiner Telefonnummer.“
Während die Glorreichen Sieben sich bereits in Windeseile auf ihre Zimmer verteilten, um Anoraks und Windjacken zu holen, rief Großmutter Kubatz: „Ihr habt wohl nicht alle Tassen im Schrank. Bei diesem Sauwetter holt ihr euch eine Lungenentzündung nach der anderen!“
„Und ihr solltet jetzt nicht auf eigene Faust Polizei spielen wollen“, gab Professor Stoll zu bedenken.
„Nur solange sie auf dem Ohr liegt“, rief Paul Nachtigall zurück. „Wenn sie wieder aufwachen sollte, ziehen wir uns sofort zurück.“
„Wartet noch zwei Minuten“, schlug Professor Stoll vor. „Ich will noch einmal versuchen, Kommissar Michelsen zu erreichen.“ Aber bevor er den Hörer abnehmen konnte, klingelte es bereits, und das Fernamt war am Apparat: „Ihr Gespräch nach Kongsmark , bitte warten Sie.“
Als sich Professor Stoll kurz darauf umdrehte, sah er nur noch, wie die Tür hinter den Glorreichen Sieben ins Schloß fiel.
„Das ist alles zuviel für mich“, seufzte Fräulein Emma Zobelmann und rang nach Atem.
Ganz kurz hinter Westerland begegneten sich in diesem Augenblick ein knallrotes Kabriolett und ein grauer Volkswagen. Aber da es regnete und Nacht war, blickten die Fahrer nur
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