Der Junge aus dem Meer
seinem Wohnwagen das Licht aus und schloß sorgfältig die Tür ab. Als er jetzt zum Zelt hinüberging, verkündete die Lautsprecherstimme auch schon: „Psycho, das Wunder der Hypnose“. Gleich darauf hörte man, wie das Publikum applaudierte.
Das war etwa um dieselbe Zeit, als im Büro von Kriminalrat Michelsen so ziemlich alles auf einmal aufeinanderplatzte.
Es hatte damit angefangen, daß Professor Stoll endlich seine Verbindung mit Westerland bekam. „Entschuldigen Sie, aber seit einer halben Stunde wähle ich mir die Finger wund...“
„Wenn Sie wüßten, was hier los ist, Professor“, hatte der junge Herr Lüders geantwortet. Seitdem hing er bereits seit einer Viertelstunde am Telefon und machte sich immer wieder Notizen. Bis er dann sagte: „Den Rest können wir uns schenken, glaube ich.“
In diesem Augenblick kamen nämlich die Herren Kubatz und Schreiber zusammen mit dem schwarzhaarigen Jungen durch die Tür. Sie waren Kriminalkommissar Michelsen auf der Treppe begegnet. Er hatte sich bereits seinen Mantel über die Schultern geworfen, paffte an einer Zigarre und war nur zähneknirschend umgekehrt. „Ich wollte mich gerade in die Falle hauen, meine Herren. Ich habe nämlich eine ganze Nacht lang kein Auge zugemacht und war den ganzen Tag auf den Beinen“, knurrte er. „Es ist Samstag abend , und eigentlich bin ich überhaupt nicht mehr im Dienst. Aber bitte, womit kann ich dienen?“
Zugleich öffnete ein Polizist die Tür zum Vorzimmer und meldete: „Wachtmeister Küselwind aus Rantum möchte Sie unbedingt sprechen.“
„Ja um alles in der Welt, wieso telefoniert er denn nicht?“ brüllte Herr Michelsen.
„Es war dauernd belegt“, antwortete Herr Küselwind, der jetzt mit roten Ohren im Türrahmen stand. „Ich habe befürchtet, der Blitz sei in Ihrer Leitung...“
„Auch wir haben vergeblich versucht, Sie zu erreichen“, bemerkte der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten höflich.
„Jetzt platzt mir aber der Kragen“, brüllte Kommissar Michelsen wieder. „Wieso sind unsere Telefone denn dauernd belegt? Darf ich es Ihnen sagen, sehr verehrter Herr Kubatz? Weil Ihre Kollegen vom Fernsehen, vom Rundfunk und von den Zeitungen seit ein paar Stunden aus diesem Büro ein Irrenhaus gemacht haben! Und alles wegen dieses Jungen. Hotels aus dem Schwarzwald, vom Rhein und sogar vom Gardasee wollen ihm einen Urlaub schenken. Arzneimittelfirmen empfehlen ihre Präparate gegen Gedächtnisschwund. Eine Seifenfabrik möchte mit ihm Reklame machen, und seit neuestem häufen sich die Anrufe ausgerechnet aus Iserlohn. Ein Schuldirektor, ein Apotheker, ein Fleischermeister, eine Konditorei und ein Papierwarengeschäft — alle behaupten, den Jungen zu kennen...“ Er knallte jetzt eine Handvoll Zettel auf den Schreibtisch. „Da! Jeder Anruf ist notiert. Der Junge soll angeblich Peter Grämlich heißen, und sein Vater sei in Iserlohn...“
„Ich heiße Peter Grämlich“, unterbrach der schwarzhaarige Junge in dem rot-blau karierten Hemd. „Und ich komme aus Iserlohn...“
„Ja, ich gebe Ihnen Bescheid“, sagte der junge Herr Lüders in diesem Augenblick noch in sein Telefon. „Guten Abend, Herr Professor Stoll.“
Anschließend war es für ein paar Sekunden ziemlich still. Nur von der Straße herauf waren Autos und das Bellen eines Hundes zu hören.
„Und was gibt es sonst noch Neues?“ fragte Kriminalkommissar Michelsen jetzt in einem ganz anderen Ton und wieder völlig ruhig.
„Leider eine ganze Menge“, bemerkte Herr Kubatz. „Ich fürchte, Sie müssen heute noch eine Verhaftung vornehmen, bevor Sie sich ins Bett legen. Wenn ich Ihnen die Geschichte erzählen darf...?“
„Das ist ein guter Vorschlag“, meinte der Kommissar und paffte eine Zigarrenrauchwolke ins Zimmer. „Ich werde mir einen starken Kaffee kommen lassen, und dann bin ich ganz Ohr.“
Das Schildkrötengesicht blickte bekümmert durch die dicken Gläser seiner Brille über den Schreibtisch. Die Explosion des Kommissars hatte den kleinen Professor eingeschüchtert. Er haßte es, wenn Menschen laut wurden.
„Es kann aber eine kleine Weile dauern“, bemerkte Herr Kubatz.
„Ich habe massenhaft Zeit“, antwortete Kriminalkommissar Michelsen überraschend und lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück.
„Nein, ganz so viel Zeit bleibt uns nun auch wieder nicht“, schränkte Herr Kubatz ein und blickte auf seine Armbanduhr. „Die Vorstellung war gestern kurz nach zehn Uhr zu Ende, und der
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