Der Junge aus dem Meer
Erdgeschoß herum, das Schildkrötengesicht eingeschlossen. Denn selbstverständlich war der kleine Professor aus Hamburg unter diesen Umständen nicht abgereist.
„Haus Seestern“, meldete sich Herr Kubatz. Er war aufgesprungen und hatte den Telefonhörer schon beim ersten Läuten an sein Ohr gerissen.
„Hier spricht Alexander“, sagte der Junge mit den schwarzen Haaren. „Beziehungsweise Peter.“ Er hatte inzwischen seine Mütze und die Sonnenbrille abgenommen, und um ihn herum standen im Augenblick ein paar Männer vom Fischkutter in ihren hohen Gummistiefeln und mit wollenen Pudelmützen auf dem Kopf. Sie hatten den Jungen im Laufschritt hierher in diesen Lagerschuppen gebracht, nachdem er ihnen angedeutet hatte, um was es ging und wie eilig es war. Inzwischen erinnerten sich einige an die Bilder in der Zeitung und im Fernsehen. Sie starrten ihn deshalb an wie ein mittelgroßes Weltwunder, und einer flüsterte völlig perplex: „Er ist es, er ist es tatsächlich.“
Das war etwa um die Zeit, als der Mann mit den grüngrauen Eulenaugen mitten zwischen List und Kämpen durch den Regen fuhr. Wenn er durch Pfützen kam, spritzte das Wasser krachend gegen die Kotflügel. „Ich hab’ ja Zeit“, sagte er zu sich selbst und nahm den Fuß ein wenig vom Gaspedal. „Bis zur Vorstellung ist es noch eine halbe Stunde, und ich habe meinen Auftritt ja erst nach der Pause.“ Dabei blinzelte er wieder einmal neben sich auf den Beifahrersitz, wo die braune Ledertasche vor sich hin schaukelte. Dieser Anblick beflügelte seine Laune so, daß er jetzt vergnügt eine Melodie zu pfeifen anfing.
„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten etwa im selben Augenblick in das Telefon. „Bitte erzähle den Rest Professor Stoll.“ Damit gab er den Hörer an den Arzt weiter. „Ja, Alexander, ich bin es. Schieß los...“
Herr Kubatz berichtete in drei Sätzen das Wichtigste. Dabei zog er sich bereits seinen Regenmantel über die Schultern. „Dieser Herr Albert Landauer hat es ganz offensichtlich faustdick hinter den Ohren“, meinte er abschließend. Und dann gab er bekannt, daß er jetzt schnellstens nach List fahren würde, um den Jungen abzuholen. „Am Hafen in irgendeinem Lagerschuppen, aber ich finde ihn schon.“
„Ich komme selbstverständlich mit, wer weiß, was mit dem Burschen los ist“, sagte das Schildkrötengesicht und schlüpfte gleichfalls in seinen Regenmantel, der neben der Tür am Kleiderhaken hing. „Das ist eine abenteuerliche Geschichte“, murmelte er dabei und blickte besorgt durch seine dicken Brillengläser. „Dieser Unmensch muß sein Talent zum Hypnotisieren mißbraucht haben. Aber weiß der Teufel, was dahintersteckt.“
Die beiden Herren hatten sich bereits die Mantelkragen hochgeschlagen, als sich der Chefredakteur in der Tür noch einmal umdrehte und seiner Frau zurief: „Du mußt bitte so bald als möglich mit Splettstößer von der ZENTRALEN PRESSE-AGENTUR in Hamburg telefonieren. Er bekommt heute abend noch einen Artikel für die Sonntagszeitungen von mir. Die Telefonnummer liegt im Blockhaus neben meiner Schreibmaschine.“
„Aber fahrt vorsichtig“, mahnte Großmutter Kubatz noch. „Bei Regen sind die Straßen wie Rutschbahnen, und auf ein paar Minuten kommt es jetzt auch nicht mehr an.“
Als man von draußen den roten Flitzer aus dem Hof röhren hörte, machte sich Professor Stoll gerade ein paar Notizen. „Hotel Lakolk in Kongsmark auf der Insel Römö “, wiederholte er jetzt. „Das mußt du mir aber buchstabieren, wenn es geht.“ Paul Nachtigall wollte behilflich sein und hielt dem Professor den Hörer ans Ohr, damit er seine Hände frei hatte. „Und der Familienname ist Grämlich? Bitte auch buchstabieren.“
„Wenn es ihm gelingt, von der Insel abzuhauen, ist er vorerst verschwunden“, sagte der schwarzhaarige Junge, der mit ziemlicher Sicherheit Peter hieß, eine Weile später am anderen Ende der Telefonleitung. Er stand dabei neben einem alten Holztisch in dem Lagerschuppen. Es roch nach Fisch, Netze hingen über Deckenbalken, und die Männer in den hohen Gummistiefeln fielen immer noch von einem Staunen ins andere.
„So was erlebt man sonst nur im Kino“, war ihre ziemlich einhellige Meinung.
„Ja, man muß ihn schnappen, bevor er die Insel verlassen kann“, stellte der Junge in dem rot-blau karierten Hemd inzwischen fest. Und dann fragte er plötzlich erstaunt: „Wieso?“
„Weil es wohl noch
Weitere Kostenlose Bücher