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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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es nie so direkt ausgesprochen, aber sie gehörte zu den ganzen Tratschgruppen. Oh ja, ich kenne Cora, sie war bestimmt überall mittendrin und hat das angeheizt.
    Auch wenn sie mir hinterher erzählt hat, sie hätte versucht, sie zum Schweigen zu bringen, weiß ich nicht, ob ich ihr das glauben soll. Wir hatten einen von diesen bescheuerten Streits, bei denen niemand gewinnt. Ich sagte zu ihr: »Du bist vielleicht eine schöne Freundin, du hast nicht ein Wort gesagt.«
    Und sie gab zurück: »Was meinst du damit, ich hab kein Wort gesagt? Ich war es doch, die dafür gesorgt hat, dass dein Name draußen blieb.«
    »Ja, klar«, sagte ich.
    »Ja, klar«, sagte sie.
    »Du hättest es mir sagen sollen«, sagte ich.
    »Du solltest mir dankbar sein, dass ich es nicht gemacht habe«, sagte sie.
    »Nie und nimmer bin ich dafür dankbar«, sagte ich.
    »Ja, klar«, sagte sie.
    »Ja, klar«, sagte ich.
    Und so ging es ewig weiter, und niemand gewann die Sache für sich. Ich will Sie nicht mit dem Rest davon langweilen. Letzten Endes konnte ich ihre Sicht sogar verstehen, als ich mir erst mal alles, was passiert ist, durch den Kopf gehen ließ. Ich war aber irre vor Wut. Und als ich mir das durch den Kopf gehen ließ, ich meine, die Frage, warum ich so wütend war, da kapierte ich, dass ich nicht auf Cora so wütend war. Nein, ich war auch nicht auf Clem wütend. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich es nicht bemerkt hatte.
    Irgendeine Ahnung, dass da etwas vor sich ging, hatte ich schon, aber ich denke mal, ich habe es verdrängt. Nun ja, das machen Leute eben so, wenn sie sich die Wahrheit nicht eingestehen wollen, oder? Das habe ich irgendwo in einem Buch über Psychologie oder Psychiatrie gelesen, irgendwas mit Psycho eben. Wie auch immer, da stand, dass man wahre Ereignisse, wenn man sich nicht mit ihnen beschäftigt – genau so stand’s in dem Buch –, ja also, wenn man sich nicht mit den wahren Ereignissen beschäftigt, dann verdrängt man sie bewusst aus dem Gedächtnis. Aber die Sache ist ja – je mehr man sich bemüht, es zu verdrängen, desto mehr macht es sich in allem breit, was man denkt. Die ganze Zeit. Ich konnte mich in keiner Unterrichtsstunde mehr konzentrieren. Ich konnte nicht mal mehr in Kunst was zustande bringen. Es war total verrückt, ja, das war es.
    Und dann bin ich total para… paranoid geworden … ich dachte, die ganze Schule würde mich anglotzen, wenn ich über den Korridor ging. Besonders all diese hirnrissigen NEDs. Cora fragte mich immer wieder: »Wieso sagst du nichts?«
    Aber ich konnte einfach nicht. Ich dachte, wenn ich ihn gefragt hätte, dann hätte er mich auf der Stelle sitzen lassen. Zu der Zeit war ich irgendwie total verschossen in ihn. Ich konnte ihn nicht direkt fragen. Davor hatte ich zu viel Schiss. Aber das hat sich später geändert. Ein anderer Teil von mir dachte: Wenn du irgendeine Art von Zukunft mit ihm haben willst, dann musst du ihm vertrauen. Dann müsst ihr euch gegenseitig vertrauen. Die Sache ist ja – er gab mir keinen Grund zu glauben, dass irgendwas Übles im Gange war, abgesehen von dem ganzen Getratsche und Gekicher. Er war immer noch genauso, an ihm hatte sich nichts verändert.
    Und wenn ich zurückdenke und mich frage, ob irgendein Anzeichen, Sie wissen schon, in seinem Verhalten oder so, dafür sprach, dass etwas nicht ganz Astreines vor sich ging, dann muss ich sagen: Nein. Clem war derselbe wie immer, aber es war eins dieser Dinge, die irgendwie über einem schweben – wie eine Blase oder eine Wolke oder so was.
    Und dann habe ich etwas wirklich Übles gemacht. Nicht superübel, aber übel genug, um mich schlecht zu fühlen. Ich habe jetzt nicht deswegen geheult oder so, aber danach hatte ich dauernd diese Stimme im Kopf, die zu mir sagte: »Ich kann nicht fassen, dass du das gemacht hast, Rosie. Ich kann nicht fassen, dass du das gemacht hast.«
    Wie auch immer, ich bin jedenfalls nach der Schule noch im Kunstraum geblieben, weil ich anfangen wollte, an meiner Mappe zu arbeiten. Ich habe so Stillleben gezeichnet, Schüsseln und Tassen und Obst und so. Pipikram. Aber es war alles nur vorgetäuscht. Ja, ich habe ein bisschen gezeichnet, und ich musste ja auch mit der Mappe anfangen, aber ich hätte das genauso gut zu Hause machen können. Das Entscheidende war: Ich hatte Clem nicht erzählt, dass ich länger bleiben würde. Ich wusste, dass seine Lerngruppe um eine bestimmte Zeit zu Ende sein würde, also wartete ich einfach bis zehn

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