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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Fein da und starrten auf die frisch umgegrabene Erde. Niemand sonst trauerte um Joey. Niemand stand Abe dem Trottel und seiner Frau nahe genug, um Anteil zu nehmen.
    »Er war ... ein Junge ...«, hob Christmas an, da er Joey nicht ohne ein Wort gehen lassen wollte. Doch er stockte, denn er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte.
    Joeys Mutter blickte kurz zu ihm herüber, ohne Vorwurf, ohne Hoffnung. Dann starrte sie wieder auf die Erde, die Grab und Sarg bedeckte.
    Er war ein Junge, dachte Christmas im Weggehen. Denn viel mehr gab es nicht zu sagen.
    In dem Moment erhob sich in der Stille ein Laut, unbeherrscht, unerwartet und verzerrt. Wie ein unterdrücktes Brüllen.
    Christmas drehte sich um und sah, wie Abe der Trottel von einem kurzen Schluchzen geschüttelt wurde und in den Schultern zusammensackte, wobei ihm die Yarmulke vom Kopf rutschte. Die Frau bückte sich danach und setzte sie ihm wieder auf. Dann straffte Abe der Trottel die Schultern, und die beiden wurden wieder zu Salzsäulen, die schweigend auf das frische Grab starrten.

55
    Los Angeles, 1928
    »Kauf dir ein Haus wie meines, Cochrann«, drängte Arty immer wieder. »Kauf es als Altersvorsorge. Die Reihenhäuser, die gerade in Downtown gebaut werden, sind eine lohnende Investition.«
    Doch Bill dachte nicht an das Alter. Er konnte sich gar nicht vorstellen, einmal alt zu sein. In ganz Hollywood war Arty Short wahrscheinlich der Einzige, der an das Alter dachte. In Hollywood dachten nicht einmal die Alten an das Alter, zumindest war dies Bills Eindruck. Nie würde er deshalb eines dieser tristen Reihenhäuser kaufen, mit einem winzigen Vorgarten, der einen jedes Mal, wenn man den Müll hinausbrachte, zwang, die Nachbarn zu grüßen, und einer weiteren winzigen Grünfläche hinter dem Haus, derentwegen man ihre sonntäglichen Barbecues ertragen musste. Nein, das war kein Leben für Bill. Das war nicht das Leben, das er sich von Hollywood erhoffte.
    Seit Bill als Koproduzent der Punisher-Filme auftrat, waren seine Einkünfte in die Höhe geschnellt. »Du wolltest dir allein den Bauch vollschlagen, was?«, hatte er nach den ersten Einnahmen zu Arty gesagt. Nach Abzug der Kosten war für jeden ein Gewinn von fast viertausend Dollar abgefallen.
    Danach hatte sich schnell herumgesprochen, dass eine neue, brutale, realistische Form der Pornografie im Umlauf war, was ihnen neue Kunden bescherte. Auch Texaner, Kanadier, New Yorker waren darunter. Und sogar in Miami gab es Abnehmer. Am zweiten Film verdiente jeder von beiden siebentausend Dollar. Und die neuen Kunden kauften auch noch den ersten Film. So kamen zu den anfänglichen viertausend Dollar noch einmal dreitausend hinzu. Der dritte Film wurde mit solcher Spannung erwartet, dass er Bill und Arty nur einen Monat nach seinem Erscheinen einundzwanzigtausend Dollar einbrachte, zehntausendfünfhundert für jeden. Die Summen waren schwindelerregend. Und von Film zu Film stiegen die Einnahmen weiter. Inzwischen waren Bill und Arty bei sieben Filmen angelangt und wurden immer häufiger zu den wichtigen Partys eingeladen.
    Der Punisher war ein Star. Alle wollten wissen, wer sich hinter der Maske verbarg. Deshalb hofierte man die zwei Produzenten. Doch keiner von beiden hatte je seine Identität preisgegeben.
    Der Punisher, das war Bill im Umgang mit diesen Leuten klar geworden, stand für sie alle. Hollywood war eine Vergewaltigungsmaschinerie. Und deshalb war der Punisher so erfolgreich. Er verkörperte den Geist Hollywoods, den Geist der Männer auf der Kommandobrücke.
    Die Bestätigung dafür hatte Bill bekommen, als Molly Daniel, eines der Mädchen, die er im fünften Film der Punisher-Reihe vergewaltigt hatte, ihn zu erpressen begann. Die anderen Mädchen schwiegen für gewöhnlich. Die fünfhundert Dollar, die Bill und Arty ihnen boten, waren für sie ein schönes Sümmchen. Das Versprechen, sie Produzenten und Regisseuren weiterzuempfehlen, tat sein Übriges. Und hinzu kam die Scham der Mädchen.
    Molly jedoch wollte mehr als Versprechen und Illusionen. Und Scham kannte sie nicht. Auf seine Weise empfand Bill Bewunderung für Molly. Arty hingegen war bestürzt. Daher suchten sie einen ihrer Kunden auf, einen berühmten Produzenten, den Arty seit vielen Jahren kannte, und schilderten ihm das Problem. Der Produzent, ein großer Fan der Gewaltakte des Punishers, versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Er werde Molly eine Rolle anbieten und sie zu seiner Geliebten machen, er habe nämlich

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